Autor: Paul Hoffmann

  • KIRGISTAN 2024

    KIRGISTAN 2024

    Dienstag 30.7.
    Wiebke und ich fahren im Railjet direkt von Innsbruck nach Wien. Am Flughafen treffen wir Wolfgang Melchior. Er steht bei der Gepäckabgabe vor uns, und aufgrund unserer auffälligen Radkartons kommen wir ins Gespräch. Er ist auf dem Weg nach Pakistan, um dort zu fotografieren. Wir unterhalten uns kurz und wünschen uns gegenseitig eine gute Reise, und dann geht es ab zum Flug.
    Im Flieger wird ein Mann aus den USA nach Kirgistan abgeschoben. Er wird bewacht, weint und schimpft abwechselnd lautstark und versucht, auf sich aufmerksam zu machen, um den Abflug zu verhindern. Die Stimmung im Flieger ist angespannt. Andere Kirgisen im Flieger wollen ihm helfen, und es kommt zu Diskussionen. Der Abflug verzögert sich.
    Wiebke und ich sitzen leider in unterschiedlichen Teilen des Flugzeugs. Wiebke sitzt neben Nura, nur wenige Reihen vom Abgeschobenen entfernt. Nura, eine Kirgisin, die in Deutschland eine Ausbildung macht, übersetzt für Wiebke. Sie unterhalten sich mehrere Stunden, und Wiebke lernt schon viel über Kirgistan kennen. Ich schlafe und schaue einen Film. Meine Sitznachbarn sind leider nicht so gesprächig. Wir haben einen Zwischenstopp in Istanbul.

    Mittwoch 31.7. – Bischkek –
    Ankunft in Bischkek auf einem kleinen Flughafen. Wir sind in einem muslimischen Land gelandet, und es sind fast nur Männer zu sehen. Wir bekommen viele Taxiangebote, ich verhandle mit einem Fahrer dessen Bruder uns schlussendlich ins eine Stunde entfernte Stadtzentrum von Bischkek bringt. Unterwegs halten wir an, um Geld zu wechseln, damit wir das Taxi bezahlen können. Um 6 Uhr morgens kommen wir im Hotel an und bauen als Erstes die Räder auf. Danach können wir einchecken und schlafen zunächst bis Mittag, um den Jetlag etwas zu entschärfen. Am Nachmittag fahren wir eine Runde mit den Rädern durch die Stadt auf der Suche nach etwas zu essen. Zu unserer Überraschung gibt es sogar bestens ausgebaute Radwege! Außerdem organisieren wir ein paar Dinge. Wiebke holt Gas für unseren Kocher in einem Outdoorgeschäft, während ich draußen auf die Räder aufpasse. Danach kaufe und registriere ich zwei SIM-Karten für uns (10 € für beide mit unbegrenztem Internet für einen Monat!), und wir schauen uns in der Stadt um. In einem kirgisischen Restaurant gibt es Manti und Laghman. Wir verlieben uns sofort in die beiden Gerichte. Ich bin überwältigt vom sowjetischen Baustil. Alles ist sehr protzig und massiv gebaut, eine Materialschlacht vom Feinsten. Wir treffen viele Teenager auf Fixies, was mich sehr an meine Jugend in Chemnitz erinnert. Am Abend machen wir die Räder für den nächsten Morgen zur Abfahrt fertig und gehen früh ins Bett.

    Donnerstag 1.8.
    Auf dem Weg aus der Stadt suchen wir uns einen großen Supermarkt und füllen dort all unsere Vorräte auf; Wasser, Snacks, Reis, Trockenfrüchte und Nüsse. Extrem viel Kapazität haben wir ohnehin nicht. Gleichzeitig wissen wir auch noch nicht, wie gut die Geschäfte in den dünner besiedelten Regionen bestückt sind. Schwer beladen verlassen wir die Stadt über einen ersten kleinen Pass. Es ist sehr heiß, schließlich liegt Bischkek auf 800 m. Für die Mittagspause machen wir es uns bequem im Schatten eines Baumes. Im Dorf Kegeti suchen wir später einen kleinen Laden und werden direkt mit der Realität konfrontiert. Ich bin überfordert und finde im ersten Moment gar nichts Brauchbares; es gibt zum Großteil nur Süßigkeiten und abgelagertes Gemüse. Wiebke ist zum Glück kreativer und stellt uns ein paar nette Mahlzeiten zusammen. Wenigstens wissen wir jetzt, dass wir in den vielen kleinen Ortschaften nicht allzu viel erwarten dürfen, was die Lebensmittelvielfalt angeht. Als wir vor dem Laden sitzen und kalte Limonade genießen, wird Wiebke von einem älteren Kirgisen mit einem Blumenstrauß beschenkt. Später treffen wir einen Japaner, der sich gerade auf das anstehende Silk Road Mountain Race vorbereitet. Er hat einen kaputten Reifen und schiebt schon seit mehreren Stunden sein Rad den Kegeti Pass hinunter, den Pass, den wir als Nächstes überqueren möchten. Er freut sich sehr uns zu sehen, und ist trotz der Situation in der er sich befindet total positiv. Von dort hat er es nicht mehr weit in die Zivilisation. Wir fahren weiter das Tal hinauf Richtung Pass, bis die Dämmerung einsetzt, und finden einen schönen Schlafplatz, vom Wind geschützt hinter einem großen Stein.

    Freitag 2.8. – Kegeti Pass –
    Als wir aufwachen, regnet es. Wir bleiben bis 8 Uhr liegen. Nach einem kurzen Frühstück treffen wir bereits nach wenigen Kilometern auf vier Kirgisen, drei Frauen und einen Mann. Die vier halten ein Psychologieseminar ab und laden uns auf Melone und Brot ein. Wir unterhalten uns so gut es geht. Sie sprechen nur sehr spärliches Englisch, wir sprechen weder Russisch noch Kirgisisch. Trotzdem haben wir eine großartige Zeit. Was für ein Willkommen für uns! Der Anstieg zum Kegeti Pass zieht sich. Lange nach der Mittagszeit sind wir noch immer nicht auf Passhöhe. Dazwischen beobachten wir Kirgisen, die mit ihren alten, auseinanderfallenden Autos mit extrem schlechten Reifen im Schotter stecken bleiben und sich wieder befreien. Es nieselt, und wir entscheiden uns, das Zelt aufzubauen für eine Pause. Es gibt Brot, Käse und danach einen kurzen Mittagsschlaf. Nachdem wir das Zelt wieder abgebaut haben, kommen uns zwei Italiener auf Rädern entgegen. Sie erzählen uns, dass gestern und heute die einzigen Regentage auf ihrer 30-tägigen Reise waren. Na dann hoffen wir mal dass es bei uns auch so wenig regnet die nächsten Wochen. Die letzten paar hundert Höhenmeter zum Pass müssen wir schieben. Die Straße ist kaputt und für Fahrzeuge unpassierbar. Mit guter Stimmung und umgeben von Wolke kommen wir auf unserem ersten Pass der Reise auf 3.800 m an. Wir haben seit gestern schon 4.000 Höhenmeter zurückgelegt. Auf der Abfahrt filtern wir Wasser und duschen an einem eiskalten Bach. Es regnet die ganze Zeit leicht. Am Fuße des Passes treffen wir auf eine Herde Pferde und auf Nomadenkinder, die von ihrer Jurte zu uns gerannt kommen. Wir schenken ihnen getrocknete Pflaumen. Eine Kurve weiter bauen wir unser Zelt auf einer Wiese gleich neben der Straße auf. Um uns herum ist eine unbeschreibliche Landschaft: Berge, wilde Bäche und Flüsse, riesige Wiesen, wie bei „Herr der Ringe“, dazwischen mehrere Nomadenvölker mit ihren Tierherden. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, wir kochen Reis (der leider verbrennt) und würzen mit Knoblauch, Salz und Olivenöl. Ein Klassiker, der uns schon auf vielen Radreisen versorgt hat. Mehr haben wir eh nicht dabei. Als wir ins Bett gehen wollen, kommen die vier Kinder von zuvor gemeinsam mit ihrer Mutter zu unserem Lagerplatz. Sie schenken uns fermentierte Pferdemilch und lassen uns aus ihrer Süßigkeitentüte wählen. Damit heißen sie uns willkommen in ihrem Land. Kurz danach schiebt sich eine riesige Schafsherde direkt an uns vorbei. Weiter weg treiben auch andere Nomaden ihre Herden für die Nacht Richtung Jurten.

    Samstag 3.8. – Karakol Pass –
    Heute müssen wir nur über einen kleineren Pass, den Karakol Pass auf 3.455 m. Danach sollte es für 2.000 hm und 150 km bergab gehen. Hört sich eigentlich ganz entspannt an. Wir lernen allerdings schnell, dass alles viel weiter ist und viel länger dauert, als es auf der Karte wirkt. Am Pass angekommen, ist es sehr kalt und windig. Die Abfahrt beginnt mit mehreren Flussdurchquerungen, bei denen wir unsere Schuhe ausziehen und mit Sandalen den Fluss überqueren. Danach werden die Füße getrocknet und aufgewärmt und wieder in die trockenen Radschuhe gesteckt. Am ersten Tag habe ich mich noch gefragt, warum wir diesmal so viel Zeug dabei haben. Nach dem Regen am Kegeti Pass gestern und dem starken Wind heute verstehe ich, dass man hier gerne mindestens eine Schicht mehr am Körper trägt zum Radfahren als bei uns zu Hause mitten in Europa. Zum ersten Mal ziehe ich es vor, eine lange Hose zum Radreisen zu tragen. Wir fahren an vielen Nomaden, ihren Jurten und unzähligen Tieren vorbei, zumeist halb wild gehalten, ohne einen Zaun weit und breit. Wir treffen Kinder im Grundschulalter, die alleine von ihrem Pferd oder Esel eine riesige Schafsherde hüten. Anderswo kommen Kinder aus den Lagern gerannt, die sich oft mehrere 100 Meter von der Straße entfernt befinden. Sie erkennen uns oft lange, bevor wir sie erkennen, und starten ihren Lauf, um uns an der Straße den Weg zu versperren. Oft kennen sie drei Wörter auf Englisch: „Hello“, „Chocolat?“ und „Money?“. Wir haben leider keine Schokolade, wir haben nicht einmal Schokolade für uns selbst, sondern nur Trockenfrüchte. Damit geben sie sich auch zufrieden, auch wenn sie oft mehr von uns erwartet hätten.
    Einmal kommt ein Junge sogar von sehr weit her gerannt. Er gibt alles, als würde er um sein Leben rennen. Wir können ihn mehrere Minuten beobachten und treffen uns wie in einem Film zur gleichen Zeit an der Straße. Er, total erschöpft, fragt schnaufend wieder nach Schokolade. Wir können ihm leider trotzdem nur getrocknete Pflaumen anbieten, mehr haben wir nicht, und die Strecke bis zum nächsten Ort ist noch weit. Die Abfahrt zieht sich über den ganzen restlichen Tag; kleinere Anstiege, die auf dem Höhenprofil nicht erkennbar waren, ziehen sich lange. Wir verlieren trotzdem langsam an Höhe, und es wird wieder so heiß wie vor zwei Tagen in der Ebene um Bishkek. Schließlich finden wir mal wieder einen schattenspendenden Baum für eine Pause am Nachmittag. Ein paar Stunden später, einem schweren Gewitter entkommen und mit durchgerüttelten Handgelenken kommen wir am Abend in Kojomkul an, der ersten Ortschaft seit zwei Tagen, wo wir wissen, dass es Verpflegungsmöglichkeiten geben sollte. Wir haben Glück, und der Laden, den wir erst beim zweiten Vorbeifahren erkennen, schließt direkt nach unserem Einkauf. Das Dorf sieht aus, als wäre es zur Hälfte verlassen, und dies ist die einzige Möglichkeit für Verpflegung. Danach fahren wir an den Dorfrand und waschen uns im Fluss. An einem Kriegerdenkmal kochen wir Nudeln, diesmal mit Käse als Extra. Natürlich kommen uns auch wieder Kinder besuchen. Über unsere Übersetzungs-App verhandelt einer von ihnen mit uns; er möchte Taschen, unsere Telefone oder irgendetwas anderes geschenkt bekommen. Wir geben ihnen unseren halben Käse – sie spucken ihn sofort wieder aus. Wir lernen, doch lieber ein paar Schokoriegel extra dabei zu haben, das Snickers was wir ihnen außerdem geben wird schnell verputzt.
    Nach dem wir unser Essen aufgegessen haben fahren wir etwas vom Dorf weg und bauen mit idyllischen Ausblick unser Zelt auf.

    Sonntag 4.8. – Chaek –
    Es geht weiter bergab, doch davor tausche ich die Hörnchen an meinem Lenker noch mit Wiebkes Hörnchen – in der Hoffnung, dass sie ihre tauben Finger und schmerzenden Handgelenke in den Griff bekommt. Leider stellen sich ihre Hörnchen als nicht ergonomisch genug für ihr Problem heraus – da haben wir zuvor nicht ausreichend getestet. Es geht durch einen wunderbaren Canyon, wir fahren immer weiter hinunter und passieren dabei verschiedene Vegetationszonen. Unglaublich schön! Es ist beeindruckend, wie vielfältig die Landschaft auf unserer Reise bis zu diesem Punkt bereits ist. Unterwegs halten wir in zwei kleinen Ortschaften. Im ersten Ort, Kyzyl-Oi, trinken wir einen wässrigen Kaffee. In Kirchin Village machen wir Mittagspause. Es gibt frisch gebackenes Fladenbrot, leckeren Saft, Snickers und Nüsse. Das kleine Geschäft mit seinem bunten Blumengarten taucht einfach wie aus dem Nichts am Straßenrand auf. Später gelangen wir auf eine Asphaltstraße, die uns Richtung Osten zum Songköl bringen soll. Nach drei Tagen auf Schotterpisten pumpe ich unsere Reifen auf, damit die bevorstehenden 60 km auf Asphalt zügiger vergehen. In der nächsten größeren Stadt, Chaek, treffen wir weitere Radreisende. Dann die große Überraschung: Ich erspähe das Fahrrad meines Freundes Marin! Marin ist mit dem Rad auf dem Weg zum Start des Silkroad-Rennens – wohlgemerkt auf dem Landweg. Ich wusste von seinem Plan, hätte aber nie geglaubt, ihn zufällig zu treffen. Wir kennen uns vom Transcontinental- und Transpyrenees-Race vor ein paar Jahren. Das Wiedersehen ist rührend. Marin hat keinen Stress und entscheidet spontan, uns in die Richtung zu begleiten, aus der er gerade gekommen ist, um den Abend mit uns zu verbringen. Kurz vor der Abzweigung von der Hauptstraße in Kuyruchuk laden wir noch einmal unsere Räder mit Wasser und Lebensmitteln auf und biegen dann auf eine Schotterpiste ab – Richtung Süden, Richtung Berge, Richtung Songköl. Beim Überqueren einer Hochebene flüchten wir mit Vollgas vor einem Gewitter, während Marin mir erzählt, wie das Long-Distance-Racing immer professioneller wird und mittlerweile jeder Topfahrer und jede Topfahrerin mit einem Coach und einem strukturierten Trainingsplan arbeitet. Wiebke hält tapfer durch und bleibt an unseren Hinterrädern. Wir flüchten in einen Canyon und suchen dort, direkt an einem kleinen Wasserlauf, einen schönen Lagerplatz neben der Straße. Es gibt Pasta, Chips und Fisch aus der Dose. Wir reden lange, bevor wir schließlich in unseren Zelten in einen wohlverdienten Schlaf fallen.

    Montag 5.8. – Songköl –
    Wir verabschieden Marin, und er fährt weiter in seine eigentliche Richtung nach Bischkek. Wir folgen dem immer steiler werdenden Canyon, bis wir auf 3200 m über einen Pass fahren – beziehungsweise schieben, die letzten Meter sind extrem steil und das Wetter wird zunehmend schlechter. Auf der Passhöhe treffen wir einen Kirgisen auf einem Motorrad, mit dem wir uns kurz mit wenigen englischen Wörtern unterhalten. Wir sprechen auch über das Alter unserer Frauen, und er findet es äußerst amüsant, dass Wiebke ein paar Jahre älter ist als ich. Er erzählt, dass seine Frau zehn Jahre jünger sei als er – so gehöre sich das. Haha, andere Länder, andere Sitten. Wiebke genießt derweil ihr neues Leibgericht: getrockneten und geräucherten Käse, der extrem salzig ist. Ich mag ihn nicht so sehr. Die Abfahrt beginnt sanft rollend über Grashügel hinab in Richtung Songköl, vorbei an riesigen gemischten Herden aus Schafen, Pferden und Kühen. Als wir über die Ebene am See entlangfahren, kommen johlend drei junge Kirgisen auf uns zugeritten – und werfen uns ein kopfloses Schaf vor die Füße! Wir wissen nicht recht, ob es sich um ein traditionelles Ritual handelt oder was diese Geste zu bedeuten hat. Später lese ich, dass es eine Disziplin der Kyrgyz Games ist und die Jungs vermutlich geübt haben – oder uns einfach einen Schrecken einjagen wollten. Hat nicht funktioniert, zumindest nicht mit dem Schreck, aber spannend war es trotzdem. Wir fahren mehrere Kilometer am See entlang und erleben die nächste Überraschung: Wir treffen Sam und Bella. Auch Sam kenne ich vom Transcontinental Race vor vielen Jahren. Zunächst erkennen wir uns nicht, doch schnell kommen wir auf unsere gemeinsame Vergangenheit zu sprechen. Nach der Begegnung mit Marin am Vortag ist dieses Wiedersehen erst recht kaum zu glauben. Wir tauschen uns aus und teilen unsere aktuellen Kontaktdaten. Leider fahren sie in die entgegengesetzte Richtung, und so trennen sich unsere Wege wieder – bis wir uns Monate später in Innsbruck erneut treffen. Wir halten an einem der vielen Jurtcamps und buchen eine Jurte für die Nacht, direkt am Fuße des „Peak Connewitz“. Angeblich wurde der Berg von Freunden aus Dresden-Connewitz so benannt, und der Name hat sich auf allen OpenStreetMaps gehalten. Es gibt außerdem leckeres Essen, eine Dusche (= ein Eimer mit kaltem Wasser und einer Schöpfkelle) und ein Plumsklo. Die Erfahrung ist spannend, aber wir entscheiden danach, dass wir das Wildcampen bevorzugen.

    Dienstag 6.8. – Baetov –
    Nach einem ausgiebigen Frühstück im Jurtcamp geht es einen weiteren Pass hinauf in Richtung Süden, diesmal nur wenige Höhenmeter, dafür bei grausigem Wetter. Die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt, und es nieselt. Wir tragen alle unsere Klamotten und ich bin mal wieder froh, dass wir diesmal mehr Kleidung dabeihaben als auf vergangenen Reisen in Europa. Am Pass habe ich Durchfall, keine Seltenheit auf dieser Reise bis jetzt. Die Abfahrt ist bitterkalt, aber zum Glück lichtet sich bald der Nebel, und endlich sieht man wieder etwas. Es sieht aus wie bei uns zu Hause in den Alpen. Wieder zieht sich die Abfahrt ewig, und wieder fahren wir gefühlt durch alle Vegetationszonen. Im Tal angekommen, hat sich die Temperatur gedreht, es ist heiß, und wir reißen uns die Klamotten vom Leib. Wir werden von anderen Touristen aus ihren Geländewagen gefilmt, als wären wir die Sensation, für die sie nach Kirgistan gekommen sind. Kein Versuch ihrerseits, eine Konversation aufzubauen, nur Kameras, die auf uns gerichtet werden. Seltsam, aber es regt mich trotzdem zum Nachdenken an. Ich nehme mir vor, in Zukunft ausnahmslos jede Person, die ich fotografieren möchte, um Erlaubnis zu fragen und überhaupt immer ein Gespräch zu suchen. In Jangy-Talap kaufen wir Snacks und eine riesige Melone. Wir schaffen maximal die Hälfte davon und schenken den Rest einer vorbeikommenden Familie. Weiter geht es kurz auf Asphalt in Richtung Baetov, der nächsten größeren Stadt, diesmal durch wüstenähnliche Landschaft. In Baetov angekommen, möchte ich Geld wechseln, da man in den kleinen Ortschaften nur bar zahlen kann. In Bischkek am Anfang der Reise haben wir erstmal nur einen kleinen Betrag getauscht, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel wir überhaupt brauchen. Leider verpassen wir die Banköffnungszeiten ganz knapp. Auch Zureden und mein Angebot, eine größere Menge Euros zu tauschen, stimmen die Bankangestellten nicht um. Wir überlegen und rechnen mehrmals durch, ob unser Bargeld bis zur nächsten Wechselmöglichkeit ausreicht. Die nächsten drei bis vier Tage wird es garantiert keine Gelegenheit geben, Geld zu tauschen, aber ebenso wenig viele Möglichkeiten, Geld auszugeben. Also entscheiden wir uns, nicht bis zum nächsten Tag zu warten, sondern geben fast alles was wir haben für Essen aus. Wir besuchen verschiedene Märkte, bis alles haben für die nächsten paar Tage ohne Verpflegungsmöglichkeiten. Wiebke organisiert sich auch einen neuen Löffel, da sie ihren aus Titan verloren hat. Dafür geht sie in ein Lokal und erklärt der Besitzerin mit Händen und Füßen, dass sie kein Brot braucht, sondern einen Löffel. Mit neuem Löffel im Gepäck machen wir uns danach auf den Weg und verlassen die Stadt in der Abenddämmerung in Richtung Süden, zur chinesischen Grenze. Doch bevor wir diese erreichen, müssen wir noch über zwei Pässe. Auch an diesem Abend entgehen wir mal wieder nur knapp einem heftigen Gewitter; so langsam entwickeln wir ein Gespür und vor allem eine Aufmerksamkeit für die täglichen Gewitter am Nachmittag. Wir bauen unser Zelt neben einer Bauernhofruine auf und bleiben zum Glück trocken. Es gibt Pasta mit Tomatensoße.

    Mittwoch 7.8. – Mels Pass und Kulak Pass –
    Wiebke hat heute einen schweren Start. Ich muss viel Rücksicht nehmen und warte immer wieder auf sie auf dem Weg nach oben. Genau, wir fahren mal wieder einen Pass hinauf. Dafür sind die Aussichten in alle Richtungen großartig: in eine Richtung schneebedeckte Berge, in die andere Richtung Wüste. Wir erreichen Mels Pass zur Mittagszeit, wo wir von drei Kirgisen zum Melonen- und Dosenfischessen eingeladen werden. Dazu gibt es frisch gebackenes Fladenbrot und Cola. Wir unterhalten uns mit der Übersetzungs-App über Kirgistan, Deutschland und deutsche Autos. Es sind drei Brüder, das Brot ist vom ältesten gebacken. Sie lieben Mercedes Sprinter, und er fragt, ob ich ihm einen Sprinter organisieren kann. Ich erkläre ihm, dass die Sprinter-Modelle, die sie in Kirgistan fahren, schon lange von viel neueren Modellen abgelöst wurden und die neuen bei weitem nicht mehr so haltbar und praktisch wie die alten sind. Gute alte Sprinter sind in Deutschland so teuer wie neue; darüber hat er gestaunt und sich gefreut, dass er einen alten guten Sprinter fährt. Wir fahren ein kleines Stück bergab. An einem Fluss wäscht sich Wiebke die Haare, darauf hat sie sich schon eine Weile gefreut. Wir nutzen den gleichen Fluss auch zum Auffüllen unserer Wasserflaschen. Danach fahren wir weiter über den Kulak Pass und entkommen mal wieder knapp dem nachmittäglichen Gewitter. Am Nachmittag gelangen wir auf den Chinese Highway, eine Art Bundesstraße, auf der quasi nur Lkw zwischen China und Kirgistan verkehren. Die Lkw überholen uns zum Glück mit sehr viel Abstand. Wiebke ist mittlerweile sehr erschöpft, aber wir müssen noch ein Stück. Ich schiebe sie immer wieder, mit einer Hand auf ihrem Rücken, mit der anderen am Lenker, und drücke auf die Pedale, was geht. Wir haben uns für diesen Abschnitt entschieden, was bedeutet, dass wir eine gewisse Strecke zurücklegen müssen, sonst geht uns lange vor Ankunft im nächsten Ort das Essen aus. Wiebke hat also leider keine Wahl und muss durchziehen. Irgendwann erreichen wir einen Militärcheckpoint; hier darf man nur mit einem Permit weiterfahren, da es von hier auf Asphalt nur noch nach China geht und sonst nirgendwohin. Gleichzeitig ist der Grenzübergang aber nur für den Warenverkehr geöffnet. Wir haben uns schon vorher um das Permit gekümmert. Kurz vor der Grenze kann man von der Asphaltstraße abbiegen und auf Schotter über eine gewaltige Hochebene zurück in die Zivilisation fahren, entlang der chinesischen Grenze. Und genau das haben wir vor. Am Checkpoint fragen wir nach Wasser, und der Polizist „beschlagnahmt“ prompt mehrere 500-ml-Wasserflaschen von chinesischen Lastwagenfahrern und streckt sie uns entgegen. Außerdem finden wir noch einen Container, wo eine alte Frau Cola und Brot verkauft. Es gibt wirklich genau nur Cola und Brot; wir nehmen beides, essen ein Stück des Brotes, und weiter geht die Fahrt in Richtung chinesische Grenze. Wir pedalieren noch ein paar Kilometer in den Sonnenuntergang und finden einen Schlafplatz 100 Meter neben der Straße auf 3000 m mit Blick auf schneebedeckte Berge.

    Donnerstag 8.8. – Chinese Highway –
    Nach einer kalten Nacht, wir haben nur dünne Schlafsäcke dabei und müssen dementsprechend alles anziehen was wir sonst dabei haben, geht es weiter auf dem Chinese Highway in Richtung Grenze. Dazwischen gibt es einen Abschnitt, der über 10 km einfach nur geradeaus geht; dieser Abschnitt scheint nie zu enden. Rechts neben der Straße werden Bohrungen durchgeführt. Angekommen an der chinesischen Grenze hoffen wir noch auf Wasser oder einen kleinen Imbiss. Die Tankstelle, die auf Google Maps eingezeichnet ist, scheint schon länger nicht mehr in Betrieb zu sein. Wir halten wieder Lkw-Fahrer an, fragen nach Wasser und erhalten mehrere Flaschen – ein wohltuendes Backup. Obwohl wir einen Wasserfilter dabei haben, wollen wir wirklich nur im Notfall darauf zurückgreifen und so viel wie möglich Wasser aus verlässlichen Quellen beziehen. An der Grenze wechseln wir wieder ins einsame Territorium. Auf uns warten rund 100 km absolute Einsamkeit auf einer Hochebene über 3000 m. Wir treffen über viele Kilometer niemanden, sogar Tiere sind rar. Irgendwann stoßen wir auf Yaks! Sie sehen mit ihrem zotteligen Fell furchteinflößend aus, stellen sich aber als sehr scheu heraus. Zum Mittag gibt es Nudelsuppe. Wir durchqueren trockene Flussbetten und radeln den ganzen Tag mit leichtem Gegenwind, dafür immer etwas bergab. Plötzlich tut sich ein wunderschöner, breiter, flacher Fluss auf. Wir baden, waschen und filtern Wasser; das Wasser ist herrlich und so klar, wie es nur geht – für uns eine Definition von verlässlicher Wasserquelle. Wir schieben die Räder durch den Haupt- und mehrere Seitenarme des Flusses. Nach einem Tag in Einsamkeit tauchen wieder sehr vereinzelt Höfe auf, und wir beobachten zwei Kirgisen, wie sie parallel zu uns auf ihren Pferden in die gleiche Richtung reiten. Am Abend müssen wir eine Entscheidung treffen: Fahren wir die extra Runde zum Kol’Su oder nicht? Der See ist quasi einer der Sehenswürdigkeiten in Kirgistan. Dementsprechend würden uns eine Vielzahl von Geländewagen mit Pauschaltouristen erwarten, sowie ein extra Tag Fahrzeit ohne wirkliche Möglichkeit, Verpflegung aufzuladen; unser Essen ist leider fast komplett aufgebraucht. Es gibt ein Jurten-Camp, aber wir haben weder Bargeld noch Lust, uns das zu gönnen nach der Erfahrung im letzten Jurt Camp. Außerdem ist nur noch ein Tag gutes Wetter gemeldet. Wir entscheiden uns gegen den See und gegen am darauf folgenden Regentag im Lehmmatsch die 120 km nach Naryn zu fahren. Wir werden direkt dorthin fahren und den angekündigten Schlechtwettertag als Ruhetag nutzen. Als Tagesabschluss klettern wir auf einen der vielen Wachtürme zwischen der kirgisisch-chinesischen Grenze und genießen die Aussicht. Wir überlegen kurz, oben auf dem Turm zu schlafen, aber er stellt sich als komplett von Vögeln vollgeschissen heraus. Wir bauen das Zelt mit Abstand am Fuße des Turms auf und schlafen hervorragend.


    Freitag 9.8.
    Unsere Entscheidung war gut. Das Wetter beginnt schon zu kippen, und in den hohen Bergen schaut es ungemütlich aus. Auf der Straße Richtung Naryn treffen wir nun immer wieder auf Geländewagen und Motorräder. Fensterscheiben werden heruntergekurbelt, und wir werden mal wieder ungefragt zur Attraktion und zum Fotomotiv. Wir müssen erneut durch einen Checkpoint, um die Grenzregion zu verlassen. Da wir nicht den gleichen Weg gekommen sind, findet der Beamte keine Notizen von uns. Normalerweise fahren Touristen denselben Weg zum Kol’Su und wieder zurück; am Checkpoint wird quasi ein- und ausgestempelt. Es braucht etwas Überredungskunst und Hände und Füße, um den Beamten davon zu überzeugen, wo wir hergekommen sind. Dann versteht er und lässt uns passieren. Der Checkpoint befindet sich auf Passhöhe, und von hier geht es mal wieder lange und weit bergab. Bis dahin haben wir feinen Rückenwind, der später zu Gegenwind wechselt. Auf den ersten Metern der Abfahrt reißt eine Schelle von Wiebkes Gabeltaschen. Ich, vorweg fahrend, merke es erst ziemlich spät, warte kurz, ahne, dass etwas Blödes passiert ist, und mache mich wieder auf den Weg zurück nach oben. Wir reparieren es provisorisch, und weiter geht die steile Abfahrt. Später müssen wir die wohl schlimmste Straße der Welt fahren. Nein, nicht wegen des Verkehrs, sondern wegen des Zustands der Straße; es sind die fürchterlichsten Bremswellen, die man sich nur vorstellen kann. Nach einer Weile entdecken wir zahlreiche Parallelspuren auf den Feldern neben der Straße. Die Kirgisen müssen selbst genervt von den Bremswellen einfach eine weitere Spur eingefahren haben, und dann noch eine, und dann noch eine, und so weiter. Wir kämpfen uns hungrig auf den besten Spuren zum nächsten Dorf: Ak-Muz, wo wir endlich einen Laden finden. Auf den großen Hunger gibt es erstmal frisches Fladenbrot mit Schokoriegel. Ich erinnere mich an eine Szene, die ich nie vergessen werde. Ein Kirgise kommt im Galopp auf seinem Pferd angeritten, bindet es vorm Laden an einen Mast, macht seine Besorgungen und reitet wieder davon. Ich habe das Gefühl, dass verschiedene Jahrhunderte aufeinander treffen. Wir sehen wohl so hungrig aus, dass uns ein Mann, der vorbeikommt, in eine Jurte in seinem Garten einlädt. Hier feiern schick traditionell gekleidete Frauen die Hochzeit einer Tochter am Vortag. Bedient werden sie von dem Mann, der uns eingeladen hat. Eine der Frauen spricht ganz gut Englisch. Sie ist die Lehrerin im Dorf. Eine andere ist die Ärztin. Wiebke soll einen Toast sprechen und ein Lied singen, nachdem eine der Frauen dasselbe tat. Es ist eine sehr eindrucksvolle Erfahrung. Wir werden mit Essen und Trinken überschüttet. Es gibt vergorene Stutenmilch, aber auch leckere Salate, Brote, Obst, Süßigkeiten und Tee. Die Lehrerin erklärt uns, dass ihre Familie auf einer großen Menge Schafswolle sitzt und Abnehmer sucht. Sie fragt uns, ob wir die Wolle für sie in Europa verkaufen können. Wir sind verlegen, können ihr aber leider nicht helfen. Wiebke schreibt später aus Bishkek eine Postkarte an die Schule der Lehrerin. Hoffentlich ist sie angekommen. Mit übervollen Mägen fahren wir weiter nach Naryn. Am Schluss sogar eine asphaltierte Bergstraße! Mit Gaudi und Freude darüber, die Bremswellen hinter uns gelassen zu haben, sausen wir die Passstraße hinunter in die seit Bishkek größte Stadt unserer Reise. Ein Genuss. In Naryn buchen wir uns zwei Nächte in einem Zimmer ein, morgen ist Ruhetag angesagt.

    Samstag 10.8. – Naryn –
    Heute wird ausgeschlafen und entspannt. Am späten Vormittag gehen wir in ein Café essen. Dort treffen wir auf zwei deutsche Frauen und einen Engländer mit Fahrrädern. Wir verbringen schlussendlich mehrere Stunden und mehrere Mahlzeiten dort gemeinsam und tauschen uns aus. Es ist eine schöne Abwechslung, ein paar Stunden in europäischer Gesellschaft zu verbringen. Später besuchen wir noch den Bazar. Wir testen Kurut (salzige, getrocknete Quarkkugeln) und versorgen uns für die kommenden Tage. Außerdem machen wir einen groben Plan, wie wir weiterfahren werden. Das Wetter für die nächsten Tage ist leider ziemlich unbeständig. Wiebke freut sich sehr über den Ruhetag, ich muss zugeben, dass ich immer etwas Überwindung brauche, um eine Pause zu genießen. Ich würde am liebsten immer weiterfahren, freue mich aber schlussendlich trotzdem sehr über den Tag, die Begegnungen und unseren Besuch auf dem Basar.

    Sonntag 11.8.
    Nach einem Frühstück in der Unterkunft geht es weiter. Wiebke hatte leider keinen Appetit, also halten wir extra nochmal am Supermarkt und holen Salzbrezeln, damit sie wenigstens etwas isst. Ich spüre schon an den ersten Kilometern, dass es ihr heute nicht gut geht. Wir schaffen es 35 km aus Naryn heraus in Richtung Osten, bis Wiebke vom Rad kippt und sich mehrmals komplett entleert. Es schaltet in ihr um, und auf einen Schlag wird ihr alle restliche Energie aus dem Körper geraubt. Ich baue schnell das Zelt auf, damit sie kurz im Schatten liegen kann, während ich überlege, wie wir uns aus der Situation so kräfteschonend wie möglich retten können. Wir wissen von einer Unterkunft in dem Dorf Tash-Bashat, ein paar Kilometer vor uns. Alternativ könnten wir 35 km zurück nach Naryn fahren. In Wiebkes Zustand entscheiden wir uns für die kürzere Strecke nach Tash-Bashat. Ich schiebe Wiebke so viel es geht, wir rasten erneut im Schatten eines Baumes und schaffen es schließlich zu einem sehr gemütlichen Gästehaus in einem, wie auch sonst üblichen, sehr heruntergekommenen Dorf. Eine Oase am genau richtigen Ort – außerdem der letzte Ort, bevor es für über 100 km bis zum Yssyköl nichts mehr gibt. Was für ein Glück für Wiebke. Sie verbringt den restlichen Tag im Bett. Ich führe ein langes und wichtiges Arbeitstelefonat und besuche den Tante-Emma-Laden im Dorf. Abends gibt’s für mich leckeres Essen, gekocht von den Betreibern des Gästehauses. Wiebke bleibt lethargisch im Bett liegen, ohne Appetit.

    Montag 12.8.
    Wiebke ist immer noch fertig und hat Kopfschmerzen. Ich entscheide, ohne Gepäck nach Naryn zurückzuradeln, um Medikamente und Elektrolyte für Wiebke zu holen. Außerdem brauchen wir mal wieder Bargeld, um die Nächte im Gästehaus zu bezahlen. Wir hatten definitiv nicht damit gerechnet und haben dementsprechend viel zu wenig dabei. In Naryn halte ich an zwei Apotheken, bis ich das Richtige gefunden habe. Außerdem suche ich eine Bank auf; ich muss in einer langen Schlange warten und dabei mein Rad ca. 30 Minuten unabgeschlossen vor der Bank zurücklassen. Beim Reisen zu zweit haben wir uns abgewöhnt, ein Schloss dabei zu haben. Der Deutsche in mir hat natürlich Angst um sein Rad. Gelassenheit kehrt erst zurück, als ich mit dem Bargeld in der Hand mein Rad wieder an mich nehme, vor der Bank. Wiebke verbringt den Tag im Bett, schafft es aber trotzdem, auch zum Laden zu laufen und Getränke zu holen. Die frische Luft tut gut, aber an eine Weiterfahrt ist noch nicht zu denken. Sobald ich zurück im Gästehaus bin, wird Wiebke einer Radikalkur mit Elektrolyten unterzogen. Wir hoffen natürlich, morgen weiterzukommen, machen uns aber noch keine großen Hoffnungen. Abends gibt’s wieder leckeres Hausgemachtes zu essen für mich. Für Wiebke gibt es auch extra leichte Kost: Kartoffeln mit Salz. Wir treffen zwei weitere Deutsche, die im geliehenen Lada Niva durch Kirgistan reisen. Sie erzählen uns von einem massiven Unwetter in der vergangenen Nacht und dass sie wegen eines Hangrutsches einen gewaltigen Umweg fahren mussten, um zum Gästehaus zu gelangen. Ich bin jedenfalls nicht traurig, dass wir die letzte Nacht gezwungenermaßen unter einem Dach verbracht haben und nicht im Zelt.

    Dienstag 13.8. – Burkhan Valley –
    Wir gehen zum Frühstück in den dafür vorgesehenen Raum im Gästehaus und finden unseren Tisch mit drei Tellern vorbereitet. Wir freuen uns schon auf den unbekannten Gast. Es ist der Eigentümer des Hotels. Die folgende Unterhaltung ist sehr spannend. Seine Frau ist Ärztin in Deutschland. Den Winter verbringt er bei ihr. Das Hotel läuft nun im zweiten Sommer. Er hat hier viel Persönliches eingebracht und selbst gebaut. Man spürt auch den westlichen Touch. Er erzählt uns, dass er in der Vergangenheit politisch aktiv war und bis heute versucht, das kirgisische Zeitgeschehen zu beeinflussen. Sein Hauptthema ist die Bekämpfung der Korruption, für seinen Einsatz musste er sogar schon mehrere Jahre im Exil leben. Mit dem Gästehaus versucht er, seinem Heimatort neues und modernes Leben einzuhauchen. Als wir uns aufs Fahrrad schwingen, merkt Wiebke, dass sie wieder ganz die Alte ist, uns sollte also eine Weiterfahrt nichts im Weg stehen. Russische Elektrolyte wirken noch ;). Noch im Dorf begegnen wir zwei Russen auf Rädern. Ich freue mich auf einen Austausch über die aktuelle Weltpolitik, da ich es liebe, in andere Perspektiven einzutauchen, leider scheitert es an der Sprache. Sie sprechen nur rudimentäres Englisch und wir leider immer noch kein Russisch. Wir fahren unser Tempo weiter und sie versuchen offensichtlich krampfhaft, an unseren Hinterrädern zu bleiben, schaffen es aber nicht. Der folgende Canyon ist sehr schön. Den ganzen Tag geht es auf und ab (wir machen fast identische Höhen- wie Tiefenmeter). Irgendwann fahren wir aus dem Canyon heraus auf eine Hochebene. Das Licht ist fantastisch… Gegen Abend kommen wir an die Kreuzung, wo wir uns zwischen dem Tossor Pass und dem Barskoon Pass entscheiden müssen. Wir entscheiden uns für den Tossor Pass, in diese Richtung sieht es irgendwie netter aus. Außerdem haben wir langsam genug von der Hochebene und wollen wieder auf eine Passstraße. Zum Barskoon Pass sind es aber nochmal eine halbe Tagesdistanz über eine Hochebene. Vor ein paar Tagen gab es ein gröberes Unwetter, das gleiche, von dem uns die Lada-Reisenden im Gästehaus erzählt haben. Ein Teil des Seitenarms vom Fluss, der aus den Bergen ins Tal strömt, hat ein Feld der Verwüstung angerichtet und die Straße zerstört. Dort angekommen schlagen wir unser Zelt auf. Auf den ersten Blick sind wir nicht sicher, ob wir den Fluss sicher überqueren können und fragen uns, ob wir uns für den richtigen Pass entschieden haben. Wir verschieben die Entscheidung, ob und in welche Richtung wir weiterfahren, auf morgen und genießen den Abend. Außerdem bekommen wir noch eine Show geboten.
    Es nähert sich ein Geländewagen von der anderen Seite des zerstörten Straßenabschnitts. Wir können es kaum fassen, er schafft seinen Weg durch wildes Wasser und Steine. Es sind Kanadier in einem geliehenen Landcruiser und sie wissen definitiv, was sie tun. Sehr kalkuliert und mit der richtigen Technik schaffen sie es ans andere „Ufer“. Für uns eine spannende Show. Die Kanadier bestätigen uns auch, dass diese Stelle die wildeste ist und wir nach der Überquerung kein Problem haben sollten, über den Tossor Pass zum Yssyköl zu radeln. Später kommt noch ein Südtiroler Pärchen, die beiden haben auch einen Landcruiser, einen Offroad-getunten, allerdings mit besseren Reifen, Höherlegung und extra Lichtern. Auch sie beobachten wir und freuen uns mit ihnen, als sie das Hindernis sicher überwunden haben. Claus ist mit seinem Auto schon seit vielen Monaten unterwegs im Nahen und Fernen Osten. Seine Partnerin begleitet ihn ein paar Wochen zwischendurch. Ich verfolge ihn bis heute auf Instagram und freue mich immer wieder über tolle Bilder und Videos von seiner Reise. Sehr gute Begegnungen auch für uns – nun wissen wir, dass die Straße über den Pass für uns gut passierbar ist.

    Mittwoch 14.08. – Torrso Pass –
    Nach dem Frühstück gibt es heute also erstmal nasse Füße. In der Früh fließt deutlich weniger Wasser, und wir kommen gut durch den Fluss. Danach geht es gemächlich hinauf zum Torrso-Pass auf 3900 m. Es ist wieder unglaublich schön und einsam. Wir treffen nur wenige Menschen – heute dafür sogar mal ein paar Radreisende, darunter ein britisches Pärchen auf einem Tandem. Sie sind in Almaty gestartet und wollen den gesamten Indischen Subkontinent hinunterfahren. Nach ein paar Schiebepassagen mit überwältigender Aussicht erreichen wir den Pass und kochen uns endlich eine schöne Portion Instant-Nudeln, um dann gestärkt die Abfahrt über 2000 Höhenmeter in Angriff zu nehmen. Unzählige Kehren rollen wir hinunter – es ist wunderschön, und wir durchqueren mal wieder mehrere verschiedene Vegetationszonen. Unten angekommen suchen wir einen Supermarkt und gönnen uns Müsli mit Milch und viel Schokolade! Dafür müssen wir ein paar Kilometer auf der Hauptstraße entlang des Yssykköl fahren, wo zum ersten Mal auf unserer Reise nennenswerter Auto- und Lkw-Verkehr herrscht. Die kirgisischen Autofahrer sind nicht gerade fahrradfreundlich – das muss man einfach so sagen. Wir überlegen nicht lange und entscheiden uns, den Abschnitt nach Karakol per Mitfahrgelegenheit zu überbrücken. Ehrlich gesagt wollen wir uns die bisher einsamen 1.000 zurückgelegten Kilometer nicht mit einer 100 km langen Fahrt auf der Hauptstraße kaputtmachen. Wiebke organisiert einen Stift und beginnt, „Karakol“ auf einen Pappkarton zu schreiben. Doch bevor sie fertig ist, kommen schon ein paar Jungs auf uns zu, die gerade den Laden mit Getränken beliefern, und bieten uns eine Mitfahrgelegenheit an. Wir legen die Räder in den geräumigen Laderaum des uralten Mercedes Düdo und nehmen in der Fahrerkabine Platz. Mit uns reisen drei Lieferanten – insgesamt sind wir also fünf Personen. Es gibt allerdings nur drei Sitzplätze, aber das wird schon irgendwie passen. Schlussendlich klettert Wiebke in die provisorische Schlafkabine über dem Cockpit, und wir Männer sitzen zu viert nebeneinander auf der Dreier-Sitzbank. Unterwegs halten wir noch an zwei weiteren Märkten und helfen, die Getränke ins Geschäft zu tragen. Danach geht es zwei Stunden lang weiter über eine schlechte Straße nach Karakol. Wir versuchen, uns über eine Übersetzungs-App zu unterhalten – eine köstliche Erfahrung. Ich sitze neben dem Fahrer und beobachte, wie er immer im höchsten Gang Vollgas gibt, bis wir 120 km/h erreichen. Nach einer Weile springt der Gang heraus, und der Fahrer lässt den Transporter ausrollen, bis wir auf 60 km/h abgebremst sind. Dann „würgt“ er den Gang wieder hinein und gibt erneut Vollgas – bis der Gang wieder herausspringt. So geht es die ganze Fahrt über die Überlandstraße hinweg. Während der Fahrt buchen wir uns ein Zimmer in Karakol und werden sogar direkt bis vor die Tür der Unterkunft gefahren. Der Transporter wird mit zwei abisolierten Kabeln ausgemacht, die links aus dem Armaturenbrett ragen und dafür kurz aneinandergehalten werden. Leider gibt es einen Buchungsfehler, und wir müssen uns noch eine andere Unterkunft suchen. Doch kurze Zeit später stehen wir unter einer Dusche und liegen im Bett. Karakol ist eine der größeren Städte in Kirgistan und bietet dementsprechend viele kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten.

    Donnerstag 15.08 – Karakol –
    Heute frühstücken wir in einem sehr schicken und schönen Restaurant. Ehrlich gesagt haben wir noch keinen genauen Plan, wie wir weiterfahren wollen – beziehungsweise haben wir zu viele Pläne und können uns nicht so recht entscheiden. Ein entspannter Vormittag, um alle Möglichkeiten zu evaluieren, wird uns hoffentlich zu einem Ziel führen. Schließlich entscheiden wir uns, noch heute über eine weitere große Überlandstraße weiter Richtung Osten zu fahren, um dort eine einsame Runde nach Enilchek zu drehen. Der Wetterbericht ist nicht perfekt, daher halten wir uns die Möglichkeit offen, nur auf den ersten Pass hinaufzufahren und gegebenenfalls wieder umzudrehen. Wir nutzen die reichhaltigen Supermärkte der Stadt, laden Verpflegung auf und starten in Richtung Osten. Nach wenigen Kilometern wird uns bewusst, dass der Verkehr auf der Straße erneut extrem gefährlich ist und absolut keinen Spaß macht. Wir fackeln nicht lange und kehren wieder in die Stadt zurück. Auf dem Weg schmieden wir einen neuen Plan. Ich muss dazu noch erwähnen, dass wir nie vorhatten, die gesamte Reise als große Rundtour zu fahren und zurück nach Bischkek zu radeln. Stattdessen war von Anfang an der Plan, irgendwo am Yssykköl in einen Bus zu steigen, um damit wieder zum Ausgangspunkt unserer Reise zu gelangen. In einem Geistesblitz überlegen wir nun, weiter entlang des Sees zu trampen und am nördlichen Ufer wieder in die Berge abzubiegen, um anschließend zurück nach Bischkek zu radeln. Am Nordrand von Karakol angekommen, versuchen wir erneut unser Glück. Nach nur 15 Minuten haben wir eine Mitfahrgelegenheit für uns und unsere Räder gefunden: ein Sprinter-Pritschenwagen mit Doppelkabine – ein Fahrzeugtyp, der in Kirgistan zu Tausenden unterwegs ist, oft aus Jahrgängen und in fragwürdigen Zustand, die bei uns schon lange keinen TÜV mehr bekommen würden. Der Fahrer rast wie ein Wahnsinniger. Wir werden zweimal von der Polizei angehalten. Lachend erklärt er uns, dass sie bei Pkws die Versicherung kontrollieren, er aber einen Lkw fährt – und Lkws bräuchten in Kirgistan keine Versicherung. Selbstverständlich hat er auch keine. Die Straße ist extrem holprig, und er fordert dem alten Auto einiges ab! Wir wundern uns, dass wir kein Rad verlieren oder einen Platten haben. Irgendwann wird die Straße besser – dabei dröhnt lautstark russischer Techno aus den Lautsprechern. Wieder einmal ein köstliches Erlebnis. Wir werden bis zur Mitte des Nordufers des Yssykköl mitgenommen. Dort beginnt der Kok-Ayrzk Pass in Richtung Norden, den wir am nächsten Tag fahren möchten. Wir suchen uns schnell eine eher mittelmäßige, aber immerhin interessante Unterkunft und radeln anschließend an den See. Endlich schwimmen! Darauf freut sich Wiebke schon den ganzen Urlaub. Der Tag klingt langsam aus … später kochen wir in der Unterkunft.

    Freitag 16.08 – Kok-Ayrik Pass –
    Nach einem Müslifrühstück besorgen wir uns noch Verpflegung für zwei Tage in den Bergen in einem kleinen Shop am Straßenrand – und los geht’s. Ein wenig später, immer noch an der Hauptstraße, entdecken wir einen Stand, an dem frisches Fladenbrot verkauft wird. Es wird direkt vor Ort und unter freiem Himmel gebacken – der Duft ist köstlich. Wir nehmen zwei. Dann beginnt der Anstieg. Heute erwarten uns 2200 Höhenmeter am Stück bergauf. Die Straße ist anfangs noch recht gut, wird jedoch umso kaputter, je weiter wir nach oben fahren. Schon bald müssen wir unsere Räder über die ersten verschütteten Abschnitte tragen. Lustig – auf Google Maps ist hier mal wieder eine normale Passstraße eingezeichnet. Mit einem Fahrzeug auf vier Rädern wäre an ein Weiterkommen jedoch nicht zu denken. Wiebke hat heute mehrere kleine Wutanfälle – langsam lässt die Kraft nach, sich jeden Tag aufs Neue einen riesigen Pass hinaufzuquälen. Mir hingegen macht es großen Spaß, und ich fühle mich genau am richtigen Ort. Ich versuche, Wiebke so viel positive Energie wie möglich zu senden. Die Abschnitte, in denen wir die Räder über große Steine wuchten müssen, sind die kräftezehrendsten. Je höher wir kommen, desto ungemütlicher wird das Wetter: Wolken ziehen auf, es wird kalt und windig, und immer wieder setzt Regen ein. Doch wir lassen uns davon nicht die Stimmung verderben – die Aussicht ist einmalig. Wieder schafft es Kirgistan, uns aufs Neue zu beeindrucken: mit wilden Gletschern, beeindruckenden Felsformationen und endlosen Geröllfeldern. Irgendwann erreichen wir den Kok-Ayrik Pass. Ein großes Tor markiert die Passhöhe. Hinter uns liegt der Yssykköl, vor uns erstreckt sich der Chon-Kemin-Nationalpark. Nun tröpfelt es sanft vor sich hin. Schnell ziehen wir unsere Regenhosen an, freuen uns kurz über den erreichten Gipfel und starten dann die Abfahrt. Doch lange fahren ist nicht möglich – auch hier müssen wir immer wieder schieben. Die Aussicht ist natürlich weiterhin, wenn nicht sogar noch mehr, fantastisch, aber die Abfahrt zieht sich. Aus der geplanten einen Stunde werden zweieinhalb. Immer wieder steigen wir vom Rad, schieben es oder heben es über Geröllhaufen. Als wir endlich im Tal ankommen, hat sich das Wetter weiter verschlechtert. Es regnet mittlerweile durchgehend, der Himmel ist wolkenverhangen, und es ist kalt. Wieder müssen wir einen Fluss durchqueren. Auf den ersten Blick wirkt er gar nicht so wild, doch beinahe kostet er mich mein Rad. Ich wate ohne Rad zurück und helfe Wiebke. Gemeinsam halten wir ihr Rad fest und verhindern, dass es von der Strömung mitgerissen wird. Damit hatte ich an dieser Stelle wirklich nicht gerechnet. Trotzdem beschließen wir, noch ein paar Kilometer weiterzufahren. Wir sind ohnehin nass, und jeder Kilometer, den wir heute zurücklegen, erspart uns morgen zusätzliche Anstrengung – schließlich sind es noch mindestens 60 Kilometer bis zum nächsten Dorf. Im Regen fahren wir das Tal hinaus in Richtung Westen. Es geht leicht bergab, doch heute bläst uns ein starker Gegenwind entgegen. Nach einem kurzen Zwischenanstieg und kurz bevor es dunkel wird, finden wir einen schönen Schlafplatz auf einer Lichtung mit Blick auf einen beeindruckenden Berg. Am Abend lockert die Bewölkung etwas auf und erlaubt uns wunderbare Ausblicke in alle Richtungen. Während unserer Abendroutine – Zelt aufbauen, Katzenwäsche, Schlafsack und Isomatten vorbereiten, Essen kochen – taucht plötzlich ein junges Mädchen auf einem Pferd auf. Sie beobachtet uns aus sicherer Entfernung, pflückt Kräuter und scheint sich sehr für uns zu interessieren. Erst kurz bevor es dunkel wird, schwingt sie sich auf ihr Pferd und reitet davon – eine Begegnung, die wir beide nicht vergessen werden. Wie so oft gibt es von den schönsten und intensivsten Momenten keine Fotos. Ich habe eine große Hemmung, solche Situationen durch das Zücken der Kamera zu unterbrechen. Vielmehr genieße ich sie und versuche, die Bilder in meinem Kopf abzuspeichern. In der Nacht gewittert es immer wieder in den Bergen um uns herum. Wir liegen lange wach und versuchen herauszufinden, ob die Gewitter näherkommen oder sich entfernen. Beim Radreisen habe ich schon einige unheimliche Momente während Gewittern erlebt, und ich muss zugeben, dass wir beide großen Respekt vor Blitzeinschlägen haben. Doch wir haben Glück – die Gewitter bleiben weit genug entfernt. Der Regen begleitet uns dennoch die ganze Nacht.

    Samstag 17.08 – Chon-Kemin –
    Es regnet nach wie vor. Wir krabbeln aus dem Zelt ins Nasse, trinken schnell einen Instantkaffee und essen dazu einen Keks. Widerwillig packen wir alles zusammen – mittlerweile ist alles nass. Wir machen uns nicht mehr die größte Mühe, irgendetwas trocken zu halten, sondern vertrauen darauf, dass wir im Laufe des Tages bei hoffentlich besserem Wetter unsere Ausrüstung trocknen können. Wir setzen unsere Fahrt das Tal hinaus fort, heute mit Rückenwind, aber tief hängenden Wolken, wenig Aussicht, Regen und kalten Temperaturen. Gegen Mittag erreichen wir das Dorf Kaindy, wo wir eine Stunde in einer Bushaltestelle verbringen, um den Starkregen vorbeiziehen zu lassen. Nicht weit entfernt finden wir ein Guesthouse und entscheiden uns, den restlichen Tag dort zu verbringen – die Wetteraussichten für den Nachmittag sind nicht besser, und auch morgen soll es den ganzen Tag regnen. Als wir ankommen, werden wir von einer sehr netten Familie empfangen. Die Frau betreibt das Guesthouse, der Mann hat alles selbst gebaut. Es gibt eine große überdachte Terrasse und einen Garten. Die Zimmer sind gemütlich – hier können wir entspannt zwei Nächte verbringen und das schlechte Wetter vorbeiziehen lassen, bevor wir zurück nach Bischkek radeln. Wir breiten all unsere Sachen zum Trocknen aus, kaufen im Dorfladen ein Bier und genießen es auf der Terrasse. Beim Abendessen treffen wir auf eine weitere Gruppe deutscher Reisender – drei ältere Frauen mit einem privaten kirgisischen Guide, der ausgezeichnet Deutsch spricht. Wir lauschen gespannt dem Gespräch und schnappen einige interessante Informationen über das Land auf. Das hausgemachte Essen, ein Drei-Gänge-Menü, schmeckt hervorragend. In einem richtigen Bett zu schlafen und ein Dach über dem Kopf zu haben, fühlt sich großartig an – draußen regnet und stürmt es die ganze Nacht.

    Sonntag 18.08
    Heute passiert nicht viel. Wir schlafen aus, machen eine kurze Wanderung zu einer „Alm“ außerhalb des Ortes und genießen den Ruhetag. Ich überlege, wie wir die folgenden zwei Tage zurück nach Bischkek fahren. Unsere Reise neigt sich langsam dem Ende. Abends gibt es wieder spitzenmäßiges Essen.

    Montag 19.08
    Bei herrlichem Wetter und gestärkt von einem reichhaltigen Frühstück starten wir in Richtung Bischkek. Wir nehmen nicht den direkten Weg, sondern fahren über kleine Dörfer auf einsamen Straßen. Außerdem wollen wir noch vor den Toren der Stadt die letzte Nacht im Zelt genießen. Landschaftlich gibt es keine großen Highlights mehr, aber es ist schön, noch einmal einen Tag durch eine etwas dichter besiedelte Region Kirgistans zu fahren. So viele Menschen wie heute haben wir auf der gesamten Reise zuvor vermutlich nicht getroffen. In jedem Dorf, in dem wir anhalten – sei es für ein Eis, eine Rast im Schatten, das Mittagessen oder eine Melone –, kommen Männer auf mich zu und wollen meine Hand schütteln. Für Wiebke interessiert sich heute leider niemand, dabei hat sie in den letzten Wochen eine viel größere Leistung vollbracht als ich. So ist es leider in Muslimischen Ländern, das haben wir so auch schon auf anderen Reisen erlebt. Am Ende des Tages fahren wir wieder durch das Dorf Kegeti, genau wie am ersten Tag unserer Reise. Ab hier treffen wir mehrere Gruppen von Radfahrern, alle auf dem Weg zum Kegeti-Pass. Wir freuen uns, dass auch andere bald erleben dürfen, was wir erleben durften. Kurz vor der Stadt finden wir auf einer Anhöhe einen wunderbaren letzten Campspot und genießen unseren letzten Sonnenuntergang. Am Horizont ist bereits die „Skyline“ von Bischkek zu sehen.

    Dienstag 20.08 – Donnerstag 22.08 – Bischkek –
    Wir müssen nur noch wenige Kilometer nach Bischkek radeln. Leider habe ich am letzten Fahrtag starke Magenprobleme und muss mich mehrmals übergeben. Ziemlich entkräftet komme ich im Hotel an, wo wir die letzten beiden Nächte verbringen wollen. Den Rest des Tages verbringe ich mit Ausruhen im Bett, während Wiebke sich auf den Weg zu ihrer lang ersehnten Massage begibt. Zwischendurch unterhalte ich mich länger mit einem Schweizer und einem Deutschen, die mit dem Motorrad bis nach Kirgistan gefahren sind. Ihre Geschichten sind spannend und wecken sofort die Vorfreude auf die nächste Reise. Am Mittwoch besuchen wir das kirgisische Historische Museum und die Kunstausstellung. Außerdem machen wir einen Ausflug zum bekannten Osh-Markt – eine unglaubliche Erfahrung! So viel buntes Treiben, Menschen verschiedenster Nationen, eine Produktvielfalt, die uns den Atem raubt. Wir kaufen eine Glasteekanne, genau so eine, aus der wir auf vielen Stopps während der Reise getrunken haben. In jedem Restaurant wird großartiger Tee aus genau diesen Kannen serviert. Die Kanne kommt sogar unbeschadet in Innsbruck an und zaubert uns bis heute bei jeder Benutzung ein Lächeln aufs Gesicht. Außerdem essen wir noch ein paar mal sehr gut – Bischkek hat eine Vielzahl hervorragender Restaurants zu bieten. Schließlich demontieren wir unsere Räder und verpacken sie in die Pappkartons, die brav im Hotel auf unsere Rückkehr gewartet haben. Damit ist die Reise und dieser Artikel beendet.


    Für alle die es interessiert, hier ist ein Link zu unserer Route durch Kirgistan: https://ridewithgps.com/routes/49506531


    Alle Bilder aus diesem Beitrag wurden von mir mit einer Fujifilm X100V erstellt.

  • PERU 2024

    PERU 2024

    im Tocllaraju Highcamp

    Anreise

    Freitag 24.Mai 2025
    Malte und ich fahren um 12 Uhr in Innsbruck los. In Vomp stößt Dominik dazu, und es geht weiter Richtung München. In der Nähe des Flughafens haben wir für den nächsten Monat einen Parkplatz reserviert. Unterwegs überlegen wir noch, wie wir unser Übergepäckproblem lösen können. Schlussendlich packen wir einfach alles, was zu viel ist, ins Skigepäck und hoffen auf Kulanz. Die Tasche ist jetzt massiv zu schwer und wird uns ein Glück trotzdem mit einem schmunzeln abgenommen. Wir haben jeder eine große Reisetasche, jeweils Handgepäck und zusammen einen großen Ski Bag mit den beiden Snowboards, meinen Ski, Boots, Seilen, Eisgeräten, Stöcken und weiterer Bergausrüstung. Mit 30 Minuten Verspätung fliegen wir schließlich nach Madrid. Dort müssen wir von einem Ende des Flughafens zum anderen spazieren, um unseren Anschlussflug zu erreichen. Unterwegs finden wir noch ein spärlich belegtes Baguette und leicht nach Chlor schmeckendes Wasser und stellen uns ans Ende der unglaublich lange Schlange für unseren Flug nach Lima. Die Stewardessen wirken leicht hektisch und treiben die Leute zum Einsteigen an, während bei der sporadischen Passkontrolle quasi nicht mehr hingeschaut wird. Dann endlich: Abflug nach Lima. Abgesehen von dem einen Essen verbringe ich fast die gesamten 12 Stunden des Fluges schlafend. Malte und Dominik schauen Filme. Malte spielt das Spiel 2048 durch und freut sich sichtlich.

    Samstag 25. Mai
    Wir landen mit sieben Stunden Zeitverschiebung gegen 4 Uhr morgens in Lima. Punkt 5 Uhr haben wir unser Gepäck abgeholt – alles ist angekommen. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Im Flughafengebäude wird bereits überall darauf hingewiesen, nicht in irgendein beliebiges Taxi zu steigen. Malte, der schon zweimal in Peru war, kennt sich aus, und wir suchen uns einen offiziellen Taxistand noch im Flughafengebäude. Dort buchen und bezahlen wir ein Taxi zum Busbahnhof Nord. Die 30-minütige Fahrt kostet 85 Soles, ca. 20 €. Wir bekommen unseren ersten Eindruck von Lima: Es herrscht eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Der Blick aus dem Taxi ist trostlos – heruntergekommene Viertel, aber viel Leben auf den Straßen. Streunende Hunde, dreirädrige Taxis, zerbeulte Autos, Busse und Lkws prägen das Stadtbild. Am Busbahnhof angekommen, ist noch alles recht verschlafen. Die meisten Busanbieter (vermutlich gibt es hier um die 100 verschiedene Verkaufsstellen dicht an dicht nebeneinander) haben noch geschlossen. Wir platzieren uns vor einem Anbieter, den wir zuvor ausgesucht haben und der uns um 7 Uhr nach Huaraz bringen sollte. Malte holt die erste Inka Cola – sein Leibgetränk, seit er vor einigen Jahren das erste Mal in Peru war. Wir teilen sie, und alle sind glücklich, vor allem Malte, der endlich wieder echte Inka Cola trinken darf. Nach einer Weile öffnet unser Ticketschalter, und wir erfahren, dass unser geplanter Bus leider ausfällt. Kein Problem, es gibt ja noch zahlreiche andere Anbieter. Ich mache es mir auf einer Bank bequem und halte unser Gepäck im Auge, während Dominik und Malte eine Runde drehen, um eine neue Verbindung nach Huaraz zu finden. Kurze Zeit später kommen sie schon mit guten Neuigkeiten zurück. Gemeinsam gehen wir zum Schalter und lösen Tickets für 70 Soles pro Person (ca. 17,50 €). Anfangs sind sie sich nicht sicher, ob sie all unser Gepäck mitnehmen können, aber schnell stellt sich heraus, dass es kein Problem ist. In Peru gibt man sein Gepäck beim Busfahren auf – genau wie beim Fliegen. Mit leichtem Rucksack bleibt uns noch eine halbe Stunde Zeit. Mittlerweile ziemlich hungrig, suchen wir etwas zu essen, es gibt abgepackte Schinken-Käse-Croissants, die wir hastig verschlingen. Dann sitzen wir auch schon im Bus Richtung Huaraz. Erneut bekommen wir einen Eindruck von Lima – diesmal bei Tageslicht. Obwohl wir bereits am nördlichen Stadtrand eingestiegen sind und Richtung Norden fahren, scheint die Stadt einfach nicht enden zu wollen. Jetzt herrscht noch viel mehr Leben. Die Straße, auf der wir unterwegs sind, ist asphaltiert, doch der Rest sind fast ausschließlich Schotterpisten. Ich sage zu den Jungs: „Der Balkan ist Himmel auf Erden im Vergleich zu dem hier.“ Überall liegt Müll, es sind viele Menschen unterwegs, es wird viel gehupt, und aus unserer Perspektive scheint es keinerlei Verkehrsregeln zu geben. Ich kann meinen Blick kaum vom Fenster abwenden. Wir fahren an der Küste entlang nach Norden und schlafen alle drei immer wieder ein. Der Bus hält gelegentlich an und nimmt weitere Passagiere auf. Hin und wieder steigen auch Händler und Händlerinnen ein, um Wasser, Gebäck und Snacks zu verkaufen. Malte rät uns, kein Gebäck zu kaufen, da es sich oft um mit Fleisch gefüllte Teigtaschen handelt. Wir gehorchen, wenn auch hungrig, und begnügen uns mit Wasser und einem Riegel. Vor uns liegen weitere sieben bis acht Stunden Busfahrt, inklusive der Überquerung eines 4000 Meter hohen Passes. Gegen Mittag halten wir an einem kleinen „Restaurant“ am Straßenrand für eine Mittagspause. Alle Passagiere steigen aus. Es gibt auch einen unbesetzten Imbiss und Toiletten. Wir entscheiden uns gegen das Restaurant und warten, bis der Imbiss besetzt wird. Dort kaufen wir Bananen, Granadilla (eine Frucht, die der Passionsfrucht ähnelt) und Wasser und genießen die Frische der Früchte. Das Highlight des Stopps: Ein anderer Bus hält neben uns, die Laderaumklappe öffnet sich – und darin liegt auf einem Holzkonstrukt der zweite Fahrer und schläft. Weiter geht es Richtung 4000-Meter-Pass. Nach der Passhöhe sehen wir sofort die ersten schneebedeckten Gipfel der südlichen Cordillera Blanca. Unser Ziel rückt näher! Wir sind die einzigen Nicht-Peruaner im Bus und lernen dabei die ersten Eigenheiten der Einheimischen kennen. Jeder spielt am Handy Videos ab – ohne Kopfhörer, dafür mit voller Lautstärke. Es wirkt, als würde jeder versuchen, den anderen in der Lautstärke zu übertreffen. Malte beruhigt uns: „Daran müsst ihr euch besser gewöhnen.“ Ich sage: „Auf diesem Trip überkomme ich endlich meine viel zu schnelle Reizüberflutung.“ Lustigerweise stört es mich bislang gar nicht so sehr. Ich genieße die Aussicht, freue mich aber auch auf eine ordentliche Mahlzeit, eine Dusche und ein Bett. Nach der Passüberquerung hören die spektakulären Ausblicke nicht auf. Im Süden erstreckt sich die Cordillera Blanca, rechts von uns die Cordillera Huayhuash, dazwischen eine unberührte Hochebene mit wilden Flüssen und Bachläufen. Schafe und Kühe grasen, Peruanerinnen waschen ihre Wäsche im Fluss und trocknen sie im angrenzenden Gras. Doch langsam wird es wieder zivilisierter, und wir fahren in Huaraz ein. Sofort springen Taxifahrer auf uns zu und versuchen, uns als Kunden zu gewinnen. Eigentlich hatten wir vor, die paar Meter bis zum Hostel zu laufen, lassen uns aber überreden, doch ein Taxi zu nehmen. Diesmal sind wir uns unsicher, ob der Fahrer unser Skigepäck transportieren kann. Er gibt uns nur ein Zeichen, dass es überhaupt kein Problem ist. Das Gepäck kommt in den Kofferraum, das Skigepäck aufs Dach – unbefestigt, ohne Gurt oder Seil. Für den Fahrer völlig selbstverständlich. Ich erwarte in jeder Kurve einen Knall, doch nichts passiert – vermutlich macht er das nicht zum ersten Mal so. Unser Hostel ist – abgesehen vom Flug – das einzige, was wir bereits in Österreich für die ersten drei Nächte vorausgebucht haben. Nach 35 Stunden Odyssee von meiner Haustür in Innsbruck steigen wir endlich die Treppen zur Unterkunft hinauf. Unser Dreibettzimmer ist klein, aber wir haben ein eigenes Bad. Wir fühlen uns wohl, und Malte bestätigt uns, dass wir einen eher besseren Standard erwischt haben. Wir lassen unser Gepäck zurück und gehen erst mal etwas essen – peruanisch und traditionell: Hühnchen. Dominik und ich bestellen gegrilltes Filet, Malte nimmt ein halbes Hendl. Wir stellen fest, dass ein halbes Hendl in Peru ungefähr einem ganzen Hendl in Österreich entspricht. Gut zu wissen, denn das wird es wohl noch öfter geben. Anschließend besorgen wir uns schnell etwas fürs Frühstück und ein paar Früchte vom Markt. Huaraz macht auf den ersten Blick einen sehr angenehmen Eindruck, doch wir wollen nur noch ins Bett. Wir besprechen kurz den Plan für die nächsten Tage, duschen einer nach dem anderen und liegen um 20:30 Uhr hundemüde im Bett.


    Akklimatisierung

    Sonntag 26. Mai
    Wir drei schlafen nicht perfekt. Der Jetlag nagt, Huaraz liegt auf 3000 m, und wir müssen alle drei außergewöhnlich oft Wasser lassen. Dementsprechend sind wir ohne Wecker um 7 Uhr wach und frühstücken auf der Dachterrasse des Hostels mit gewaltiger Aussicht. Malte hat Geburtstag – 31 Jahre –, es gibt Joghurt mit Schokoballs, Granadilla, Banane und Zitronenküchlein. Wir entscheiden uns für eine entspannte Wanderung hinauf auf 4000 m, um uns langsam an die Höhe heranzutasten. Unser Ziel ist schließlich, von 6000er-Gipfeln mit Ski bzw. Snowboard abzufahren. Dafür nehmen wir einen Collectivo, quasi den öffentlichen Nahverkehr in Peru, um aus der Stadt herauszukommen. Für 2 Soles, also ungefähr 50 Cent, fahren wir 20 Minuten Richtung Süden nach San Nicolas. Collectivos prägen den Straßenverkehr in Peru. Ohne fixen Zeitplan, aber als fixe Linie, kommen Kleinbusse – meistens Toyota Hiace – mit bereits geöffneter Schiebetür angebraust. Man gibt vom Gehsteig aus ein Zeichen, einsteigen zu wollen, und bevor man sich hingesetzt hat, fährt der Bus schon wieder weiter. Die Tür wird entweder erst bei voller Fahrt oder gar nicht geschlossen. Unsere Wanderung führt entlang von Lehmhütten und Schafweiden einen Hang hinauf in Richtung Laguna Wilcacocha und ist gleichzeitig eine beliebte Tour zum Ankommen und Akklimatisieren. Schon auf halber Strecke zum See werden wir mit wunderbaren Aussichten belohnt – auf einige unserer potenziellen Ziele für die nächsten Tage. So können wir zumindest visuell und aus der Entfernung die Bedingungen abschätzen. Die Aussichten werden immer besser, und am See, 800 Höhenmeter später, saugen wir sie nochmal richtig ein. Wir versuchen, die Berge zu erraten und uns gegenseitig ihre komplizierten Namen aus dem Kopf vorzusagen. Nach einer kurzen Jause machen wir uns auf den Rückweg, um pünktlich gegen Mittag wieder in der Stadt zu sein und das nächste Restaurant zu probieren. Hier lohnt es sich eigentlich nicht, selbst zu kochen – ein Mittagsmenü mit Vorspeise und Getränk kostet umgerechnet nur 3–5 €. In der Zwischenzeit konkretisieren wir unseren Plan für die kommenden Tage. Wir nutzen den Nachmittag zum Geldwechseln, besorgen Gas für unseren Kocher, das wir natürlich nicht im Flieger mitnehmen konnten, kaufen Lebensmittel im Supermarkt, Dominik organisiert sich noch eine geeignetere Sonnenbrille, wir besuchen das Bergführerbüro, buchen Taxi und Esel bei einer der vielen Agenturen für unseren ersten Ausflug in die hohen Berge, mieten Schneeanker und fangen langsam an, unsere Rucksäcke zu packen. Morgen werden wir eine weitere Wanderung auf 4500 m unternehmen, damit wir uns ab Dienstag in höhere Lagen wagen können.

    Montag 27. Mai
    Der Schlaf wird langsam besser. Trotzdem wache ich um 4 Uhr putzmunter auf und würde am liebsten meinen Tag starten. Nach ein paar Stunden Bettwälzen gibt’s heute Frühstück vom Hostel zubereitet. Beim Herfliegen hat uns Malte noch belehrt, besser keine frisch hergestellten Säfte zu trinken, um kein Risiko eines verdorbenen Magens einzugehen. Beim Erdbeersaft wird heute allerdings eine Ausnahme gemacht mit dem Kommentar: „Wenn’s uns danach schlecht geht, wissen wir wenigstens gleich, wo es herkommt.“ Dazu gibt’s Toast und einen Avocado-Zwiebel-Salat. Wir haben am Vortag übers Hostel ein Taxi organisiert, das uns zum Ausgangspunkt unserer heutigen Wanderung bringt, diesmal in Richtung Norden von Huaraz. Wir werden nach Pitec auf 3800 m gefahren, wo wir direkt unsere 30-Tage-Nationalpark-Pässe kaufen, die wir für unsere geplanten Trips immer wieder am Talschluss oder in Basecamps vorzeigen müssen. Heute sind auch ein paar andere Gruppen unterwegs, unter anderem eine geführte Gruppe aus Deutschland und Österreich, die wir schon am Flughafen getroffen haben. Sie haben sich einen Tag mehr Zeit gelassen, um nach Huaraz zu kommen, werden aber auch nicht lange dort verweilen, sondern bald Richtung Alpamayo, dem schönsten Berg der Welt, aufbrechen. Wir tauschen uns aus, wünschen gutes Gelingen und teilen Telefonnummern, um die kommenden Wochen Updates über Bedingungen auszutauschen. Die Wanderung führt uns auf ca. 4600 m zur Laguna Churup. Wir wandern außerdem noch ein paar Höhenmeter weiter zu zweiten, höher gelegenen See. Uns geht’s heute schon deutlich besser mit der Höhe als am Vortag. Langsam anfangen hat sich ausgezahlt. Wie ausgemacht, sind wir rechtzeitig zurück beim Taxi und werden nach Huaraz gebracht, wo wir den restlichen Nachmittag mit Packen und weiteren Besorgungen verbringen. Unter anderem gehen wir nochmal auf den Markt und kaufen große Packsäcke für unser Essen, die leicht auf den Esel geschnallt werden können. Abends beim Pizzaessen treffen wir Lisa und Lukas, zwei weitere Deutsche, mit denen ich über eine Freundin von mir verbunden wurde (Danke, Kati!). Sie sind auch gerade angekommen nach ein paar lässigen Tagen im Amazonas und wollen ein bis zwei Tage später ins gleiche Tal aufbrechen wie wir morgen. Wie auch die letzten Tage fallen wir gegen 21 Uhr todmüde ins Bett.


    Ishinca Tal

    Dienstag 28.Mai
    Endlich geht’s los! Wieder gibt’s Frühstück im Hostel, diesmal eine Eierspeise und Brot mit Butter und Marmelade. Sehr lecker, wir bestellen eine zweite Portion. Danach zahlen wir unsere ersten Nächte, bekommen die Erlaubnis, unser Gepäck, das wir am Berg nicht brauchen, zurückzulassen, und reservieren für unsere Rückkehr in 6–7 Tagen erneut ein Dreibettzimmer. Wie abgemacht holt uns um 8:30 Uhr ein Taxi ab. Mit unseren drei Bergrucksäcken, einem Paar Ski, zwei Splitboards, drei kleinen Tagesrucksäcken, einer Tasche voller Boots und Seilen und einer weiteren Tasche mit Essen ist der 30 Jahre alte Toyota bis zum Dach voll. Beim Einladen rollt das Auto kurz ein paar Meter nach vorne, doch der Taxifahrer kann mit einer schnellen Reaktion die Handbremse etwas stärker anziehen und die ungewollte Fahrt stoppen. Wir verlassen Huaraz auf der Hauptstraße Richtung Norden. Schon bald biegen wir ab und folgen einer Schotterpiste in Richtung Pashpa, in die Berge. Schotterpiste ist ein sehr harmloser Ausdruck – ich glaube, die meisten Allrad-Bully-Fahrer bei uns wären nach 100 Metern umgedreht. Für uns ging es fast eine Stunde und eine gefühlte Ewigkeit immer weiter hinauf bis auf ca. 3700 m. Kurz im Schlamm steckengeblieben, rückwärts, nochmal mit Schwung über beide Achsen drüberrutschen – alles kein Problem und scheinbar absolute Normalität. Und das mit einem uralten, komplett verbeulten Toyota Corolla mit runtergefahrenen Reifen und ohne Allrad. Ich hab’s schon oft gesagt und sage es gerne wieder: „Fuck TÜV, fuck Pickerl, fuck Safety Inspection and keep on driving into the sunset!!“ Am Ende der Straße wartet schon unser Arriero Luciano auf uns, unser Eseltreiber, mit glücklicherweise zwei plus einem zusätzlichen Esel. Wir hatten nur zwei bestellt, und als er unser Gepäck sieht, schluckt er kurz. Wir fragen, ob wir spontan den dritten Esel dazu buchen dürfen, was glücklicherweise funktioniert. Ich muss zugeben, dass wir bei unserem ersten Trip das eine oder andere zu viel dabei haben, vor allem Essen. Gleichzeitig wollen wir den ersten Trip nutzen, um herauszufinden, wie viel und was wir wirklich brauchen. Die drei Esel sind schnell bepackt, und los geht’s in Richtung Ishinca-Tal. Wir drei haben nur noch unsere kleinen Tagesrucksäcke, die 15 km Zustieg ins Basecamp vergehen wie im Flug. Auf halber Strecke essen wir Sandwiches mit Bananen, unser Eseltreiber freut sich auch, etwas abzubekommen. Je weiter wir ins Tal hineinwandern, desto gewaltiger werden die Aussichten. Zuerst erblicken wir den Palcaraju zu unserer Rechten, später taucht der Tocllaraju zu unserer Linken auf. Der Tocllaraju ist eines unserer Ziele und könnte unser erster 6000er werden. Im Basecamp angekommen, ist sehr wenig los. Wir sichern uns einen super Spot – windgeschützt, mit Top-Aussicht und nicht weit vom Wasser. Schnell bauen wir unsere beiden Zelte auf und filtern Wasser. Ich drehe eine Runde und treffe zwei nette Schweizer, mit denen ich mich angenehm austausche. Auch wir tauschen Kontakte und versprechen, uns gegenseitig über die Bedingungen zu informieren. Gegen 16 Uhr beginnen wir, Abendbrot zu kochen: Reis mit Soja-Hack, Tomatensoße und Thunfisch. Für mich gibt’s noch eine Avocado dazu. Pünktlich um 18 Uhr liegen wir im Zelt. So nah am Äquator geht die Sonne immer Punkt 6 Uhr auf und Punkt 18 Uhr unter, egal zu welcher Jahreszeit. Ich schreibe das Tagebuch von gestern und heute und freue mich schon auf meine erste Nacht auf 4300 m. 

    Mittwoch 29.Mai
    Von 19 Uhr am Abend bis 8 Uhr in der Früh – sind das wirklich 13 Stunden Schlaf? Ich glaube, so lange habe ich noch nie gesund in der Waagerechten verbracht. Die erste Nacht auf 4300 m ist okay, ich schlafe recht viel. Ich ärgere mich allerdings, dass ich mich habe überreden lassen, kein eigenes Zelt mitzunehmen – denn zusammen mit einem Zwei-Meter-Mann in einem Zwei-Personen-Zelt ist es doch sehr eng. Naja, mein Fehler, da muss ich jetzt durch. Wir schlafen aus bis 8 Uhr und warten, bis die wärmende Sonne über die Gipfel steigt, da wir heute eine weitere Akklimatisierungswanderung unternehmen wollen. Zum Frühstück gibt es Haferschleim mit Granadilla. Irgendwann gegen 10 Uhr machen wir uns auf den Weg Richtung Pass zwischen Tocllaraju und Urus auf ca. 5000 m. Der Weg ist anfangs schwer zu finden, doch schon bald sind wir auf einem wenig genutzten Pfad steil nach oben unterwegs. Zum Schluss geht es nochmal weglos, aber dafür recht gut mit Steinmännchen markiert, durch plattiges Gelände, bis wir am Pass ankommen. Hier haben wir eine gewaltige Aussicht auf den Nevado Copa sowie die Westwand des Tocllaraju und dessen Normalweg über die Nordwestschulter. Wir entdecken Skischwünge und können durch Maltes Zoom-Kamera die Abfahrts- und Aufstiegsspuren erahnen. Wie sich später herausstellt, stammen sie von einem Schweden, der alleine, ohne einer alten Spur zu folgen, vom Gipfel abgefahren ist – und das ohne Abseilen. Hut ab! Ich treffe ihn später im Basecamp und löchere ihn eine halbe Stunde mit Fragen. Netter Kerl. Ich finde es sehr verrückt, dass er es alleine gemacht hat. Er gibt uns wertvolle Tipps für unseren geplanten Versuch am kommenden Samstag. Vielleicht kommt er sogar morgen mit uns auf den Nevado Ishinca, unser erstes Ziel zum Ankommen und Bedingungen checken. Gegen 13 Uhr sind wir zurück im Basecamp. Wir kochen Pasta mit Tomatensoße, Soja-Hack und Avocado, packen die Rucksäcke, üben am späten Nachmittag noch einmal verschiedene Szenarien am Seil, kochen eine zweite Portion Pasta – und dann geht’s ab ins Bett. Der Wecker ist auf 2:45 Uhr gestellt.

    Donnerstag 30. Mai – Nevado Ishinca –
    Pünktlich um 2:45 Uhr klingelt der Wecker. Wir essen schnell eine Portion Haferschleim und verlassen wie geplant um 3:30 Uhr unser Camp. Die Rucksäcke sind schwer, obwohl wir nicht einmal unser komplettes Equipment dabeihaben, da unser heutiges Ziel, der Ishinca, technisch relativ einfach ist. Wäre da nicht der elendslange Zustieg… Wir starten auf 4300 m, der Schnee beginnt erst auf 5200 m – dazwischen liegen rund sechs Kilometer Geröll, Wanderweg und massive Granitsteine. Als wir vier Stunden nach Aufbruch am Gletscher ankommen, bin ich nicht gut drauf. So viel Schinderei nur, um zum Schnee zu gelangen, hätte ich mir nicht vorstellen können. Wir ziehen uns schweigend um, legen unsere Gletscherausrüstung an und betreten den Gletscher in Richtung Gipfel. Obwohl es mir beim Zustieg besser ging als den anderen beiden, habe ich jetzt auf dem Gletscher ein Loch. Jeder Schritt fällt schwer, die Sonne brennt gnadenlos. Ich bin froh, dass Malte spurt und ich einfach nur hinterherlaufen muss, darauf achtend, dass unser Seil keinen Slack hat. Der Gipfel liegt auf 5530 m, also fehlen uns nicht mehr viele Höhenmeter. Nach nur einer Stunde mit Fellen erreichen wir knapp unterhalb des Gipfels einen Punkt, an dem wir die Ski auf den Rücken schnallen, Steigeisen anlegen und die letzten Meter klettern. Kurz vor dem Gipfel wartet die Schlüsselstelle: eine Gipfelspalte, die wir überwinden müssen. Das gelingt so gut, dass wir spontan entscheiden, die Ski mit nach oben zu nehmen und direkt vom Gipfel abzufahren. Oben machen wir fleißig Fotos in alle Richtungen, trinken eine Flasche Inka Cola und freuen uns auf die bevorstehende Abfahrt. Beim Aufstieg hat der Schnee bereits einen sehr guten Eindruck gemacht. Wir entdecken noch andere Bergsteiger, die über eine andere Route aufsteigen, dann geht es los. Der Schnee ist tatsächlich super – oben pulvrig, ab der Hälfte feinster Firn. Wir fahren zurück zu der Stelle, an der wir den Gletscher betreten und unsere Zustiegsschuhe zurückgelassen haben, bauen alles wieder um, verweilen kurz und starten dann den langen Abstieg ins Camp. Auf dem Weg nach unten rasten wir oft und würden am liebsten an Ort und Stelle ein Nickerchen machen. Völlig erschöpft im Camp angekommen, lasse ich meinen Rucksack fallen und koche mir sofort eine Instant-Nudelsuppe. Die salzige Brühe rettet mich vor dem totalen Einbruch. Langsam schafft es jeder, seinen Rucksack auszupacken und sich kurz im Fluss zu waschen. Wir räumen das Camp auf und gehen zur Feier des Tages zur Hütte auf der gegenüberliegenden Talseite, um ausnahmsweise dort zu essen. Es gibt Spaghetti Bolognese, danach noch eine große Portion Pommes für alle. Der Tag ist gerettet, die Strapazen sind fast vergessen. Wir lernen eine Dreierseilschaft kennen – ein Amerikaner, ein Italiener und ein Australier – und tauschen uns aus. Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Pünktlich um 18 Uhr liegen wir wieder im Zelt. Ob wir morgen einen kompletten Ruhetag einlegen oder den Zustieg ins Tocllaraju Highcamp angehen, haben wir noch nicht entschieden. Das wollen wir am Morgen spontan entscheiden.

    Freitag 31.Mai
    Wir entscheiden uns, keinen Pausetag einzulegen, sondern ins Tocllaraju Highcamp aufzusteigen. Dafür frühstücken wir extra reichlich und packen gemütlich unsere Rucksäcke. Ich treffe die zwei Schweizer, mit denen ich schon vor zwei Tagen gesprochen habe. Sie kommen gerade vom Tocllaraju zurück und können uns wertvolle Infos geben. Bis jetzt waren in dieser Saison noch nicht viele Leute am Gipfel. Außerdem ist vor einer Weile der halbe Gipfelpilz abgebrochen und hat die Route verändert. Kurz vor Mittag brechen wir auf – wieder mit mörderisch schweren Rucksäcken, diesmal mit Übernachtungsausrüstung und etwas mehr Equipment fürs Eisklettern. Ich werde biwakieren, damit wir uns wenigstens ein Zelt sparen. Außerdem können wir im zurückgelassenen Zelt überflüssiges Zeug verstauen, das wir im Highcamp nicht brauchen. Der Weg geht gleich steil bergauf, anfangs ein lässiger Pfad, später weglos und etwas mühsam durch Blockgelände bis auf 5000 m, direkt am Fuße eines kleinen Gletscherarms. Erschöpft angekommen, suchen und finden wir sofort Wasser, bauen unser Lager auf und kochen etwas zu essen. Bei mir gibt es Steinpilz-Polenta vom Hofer, aus Österreich mitgebracht, bei den anderen Expeditionsnahrung. Wie immer liegen wir um 18 Uhr flach. Die Abenddämmerung ist gewaltig, der sich einstellende Sternenhimmel ebenso. Ich kann es kaum fassen, auf 5000 m unter freiem Himmel zu schlafen. Ich habe alles an, was ich dabeihabe – auch um sofort einsatzbereit zu sein, sobald der Wecker um 2:45 Uhr klingelt. Außer uns sind noch drei Chilenen und ein Australier im Highcamp, und wir wissen, dass in der Nacht noch der Italiener, der Amerikaner und der Australier direkt vom Basecamp zusteigen werden.

    Samstag 1. Juni – Tocllaraju –
    Ich schlafe recht okay, dafür dass ich auf 5000 m liege. Mir ist nicht kalt, aber trotzdem wache ich oft auf und muss meine Position ändern. Als der Wecker um 2:45 Uhr klingelt, bin ich sofort wach und motiviert. Ich muss nur aus dem Schlafsack raus und in die Skistiefel steigen – dann bin ich startklar. Wir kochen schnell Wasser, essen Haferschleim, und um 3:30 Uhr betreten wir den Gletscher direkt hinter dem Highcamp. Es ist sehr dunkel, man sieht kaum etwas. Wir sind froh über eine Spur der vergangenen Tage, sonst wäre der Weg nur schwer zu finden. Wir queren viele fragwürdige Gletscherbrücken und sind froh, auf Ski und nicht zu Fuß unterwegs zu sein. Anfangs fällt mir das Gehen schwer. Wir müssen unter der sehr exponierte Westwand einmal von links nach rechts und wieder zurück queren um eine riesige Gletscherspalte zu umgehen. Erst mit dem Sonnenaufgang, als wir schon das zweite mal unter der direkten Westwand sind, werde ich langsam wach. Vor uns taucht die erste Schlüsselstelle auf, eine ca. 70 Grad steile Lockerschneestufe. Die Dreierseilschaft, die direkt aus dem Basecamp zugestiegen ist, versucht bereits hinaufzukommen. Es sieht zwar nicht sehr schwierig aus, scheint aber doch recht zeitintensiv zu sein. Die Chilenen und der Australier sind direkt vor uns und warten ebenfalls darauf, hinterherzusteigen – wir stehen also im Stau. Wir überlegen, einen anderen Weg zu gehen. Dominik möchte unbedingt vorsteigen. Seine Versuche kosten viel Zeit und Kraft, da sich die Passage schwieriger herausstellt als erwartet. Insgesamt verlieren wir über zwei Stunden. Am Ende klettert er gleichzeitig mit dem Australier und schafft es mit dessen Hilfe nach oben. Malte und ich steigen sofort nach und klettern die Stelle im Nachstieg ohne große Probleme, wohl bemerkt im Nachstieg, da ist es immer viel leichter als im Vorstieg. Gleich darauf folgt die nächste Schlüsselstelle, die wir eigentlich sofort mitklettern wollten, um die gesamte Länge unseres Seils zu nutzen. Doch Dominik zögert und baut vorzeitig einen Stand. Die Zeit vergeht. Schließlich übernehme ich die Führung, überklettere die zweite Schlüsselstelle und baue einen Stand, um die anderen nachzusichern. Für rund 50 Höhenmeter haben wir so vermutlich drei Stunden gebraucht – wertvolle Zeit, die uns später fehlen wird. Die Chilenen und der Australier trauen sich nicht über die zweite Stelle, eine 1,5m breite Spalte, die man überspringen und sofort mit den Eisgeräten steil weiterklettern muss. Kalt vom langen Warten flüchten wir weiter nach oben in die Sonne. Auf etwa 5600 m rasten wir kurz und merken, wie erschöpft wir sind und wie spät es bereits ist. Wir entschließen uns, nicht bis zum Gipfel zu gehen, sondern nur noch so weit, wie es sich lohnt, mit Ski abzufahren, da eine Abfahrt vom Gipfel ohnehin nicht sinnvoll möglich ist. Auf 5900 m, etwa 100 Höhenmeter unter dem Gipfel, treffen wir den Italiener, den Amerikaner und den Australier, die gerade ebenfalls umdrehen. Die letzten 70 m zum Gipfel sind eine wilde Mixed-Kletterei, die sich kaum oder nur sehr schlecht absichern lässt – ihnen zu heikel und uns definitiv auch. Wir sind in Peru. Hier gibt es keine Bergrettung wie bei uns in Tirol. Wir wollen kein unnötiges Risiko eingehen. Außerdem sind wir mittlerweile sehr spät dran und völlig erschöpft. Wir steigen noch ein paar Meter weiter, dann drehen wir auf 5950 m (laut GPS) endgültig um. Ich bin traurig, so knapp unter der 6000er-Marke umzudrehen, aber stolz auf die vernünftige Entscheidung. Ich bin völlig am Ende, spüre die Höhe massiv und will nur noch runter vom Berg. Die ersten paar hundert Höhenmeter fahren wir in variablem Schnee ab. Ich bin überrascht, wie gut ich trotz meines Zustands noch Ski fahren kann – es macht sogar Spaß. Plötzlich verstehe ich, wie man auch von einem 8000er mit Ski abfahren kann, runter fahren ist viel weniger anstrengend als aufsteigen. Dann erreichen wir die Stelle, die uns beim Aufstieg so viel Zeit gekostet hat. Wir müssen abseilen. In Südamerika ist es üblich, an Schneeankern abzuseilen – einfache Aluprofile, die in den harten Schnee gehämmert werden. Es fühlt sich mulmig an, aber wir kommen alle drei sicher unten an. Weiter geht die Abfahrt, jetzt nochmal ein paar richtig lässige Schwünge im Firn. Für die Überquerung einer der fragwürdigen Spaltenbrücken bauen wir erneut eine Sicherungskette auf. In Tirol wären wir vermutlich einfach drüber gegangen. Aber in Peru gilt unser Credo: „Better safe than sorry.“ Zum Schluss fahren wir auf sonnenaufgeweichtem Eis bis zum Highcamp. Dort warten schon die anderen auf uns, alle völlig erschöpft. Wir packen unser Lager zusammen, ich esse eine Packung Instant-Nudeln, dann beginnen wir den endlosen Abstieg. Im Basecamp angekommen, springe ich sofort in den Fluss. Zur Feier des Tages gehen wir noch einmal ins Refugio auf der anderen Talseite, um Pasta und Pommes zu essen. Wir treffen die anderen, tauschen uns aus, und der Abend vergeht wie im Flug. Morgen früh werden wir von unserem Eseltreiber abgeholt – wir gehen zurück nach Huaraz für eine echte Erholung.

    Sonntag 2. Juni
    Abstieg aus dem Ishinca Basecamp. Unser Arriero ist für 8 Uhr bestellt, genau zu dem Zeitpunkt, wenn die Sonne über den Berg ins Basecamp kommt. Wir tun uns schwer, viel früher aufzustehen, schaffen es dann aber doch, gegen 7:15 Uhr aus dem Zelt zu krabbeln. Kurze Zeit später steht Lusiano bereits mit seinen drei Eseln im Camp und möchte uns abholen. Ohne zu frühstücken packen wir schnell alles zusammen, und pünktlich um 8 Uhr treten wir mit den gepackten Eseln den Abstieg aus dem Basecamp an. Gegen 11 Uhr erreichen wir die Stelle, an der uns unser Taxi abholen soll. Ohne Frühstück werden wir langsam hungrig und wollen schnell zurück in die Stadt, aber das Taxi ist leider erst für 12 Uhr bestellt. Am Abholplatz beobachte ich ein peruanisches Pärchen, das mit zwei Ochsen einen Acker umgräbt. Es sieht extrem mühsam aus, und ich komme mir wie ein blöder Tourist vor, während ich sie so anschaue. Sie zu fotografieren, bringe ich nicht übers Herz. Um 12 Uhr kommt endlich unser Taxifahrer. Man muss sagen: Dafür, dass in Peru oft alles chaotisch und unkoordiniert erscheint, haben wir bisher nur gute Erfahrungen mit Taxis und Eseltreibern gemacht. Man bucht alles vorher in einer der vielen Bergsteiger-Agenturen, und mit Handschlagqualität kann man sich darauf verlassen, dass die gebuchten Leute pünktlich an Ort und Stelle sind. Chapeau! Wir werden auf derselben wilden Bergstraße im gleichen zerbeulten Toyota Corolla zurück nach Huaraz gebracht. Unser Hostel-Host empfängt uns mit einem Bier und bittet uns: „Go eat first, room will be ready when you get back.“ Gesagt, getan. Wir lassen die Rucksäcke und Ski im Frühstücksraum zurück und machen uns auf den Weg. Wir entscheiden uns für indisch – eine gute Wahl. Das Mittagsmenü besteht aus Chicken Curry mit einem wunderbaren, selbst gemachten Saft für 18 Soles (ca. 5 €) pro Person. Gestärkt gehen wir ins Hostel zurück und können unser Zimmer beziehen. Ich erledige sofort das Auspacken und Duschen, während Malte und Dominik sich etwas mehr Zeit lassen bzw. erst einmal mit ihren Freundinnen telefonieren. Später kontaktieren mich unsere beiden neuen Freunde aus der Schweiz. Ich treffe mich mit ihnen auf einen Pisco Sour in der Stadt, wir quatschen gemütlich – ich mag die beiden sehr. Später kommen Malte und Dominik dazu, und wir gehen weiter in einen Pollo-Laden, wo wir uns alle eine ordentliche Portion Chicken mit Pommes gönnen. Ich Idiot habe zusätzlich noch Hot Chicken Wings bestellt – sehr schlau mit meinen verbrannten Lippen. Trotzdem extrem lecker. Danach fallen wir nur noch ins Bett. Die letzten Tage nagen an der Substanz.


    Ausruhen

    Montag 3.Juni 
    Wie hat mal jemand Schlaues geschrieben: Heute nichts passiert – auch schön?! Naja, nicht ganz, aber irgendwie doch. Wir schlafen aus und bekommen im Hostel eine extra große Portion Frühstück. Danach mache ich mich allein auf den Weg in die Stadt und organisiere mir eine SIM-Karte und damit mobiles Internet. Anschließend gehen wir wieder indisch essen. Danach schlendern wir durch die Stadt und lassen uns treiben. Huaraz ist ein gewaltiger Gegensatz zu einer europäischen Stadt. Ich finde es extrem spannend und könnte stundenlang durch die Straßen streifen. Genau beschreiben kann ich es aber nicht. Am Nachmittag erreiche ich endlich meine Freundin am Telefon. Wir reden kurz, während ich auf der Dachterrasse sitze. Danach arbeite ich eine Stunde – beziehungsweise versuche es. Als Selbstständiger hat man doch immer die eine oder andere Verpflichtung. Auf dem Weg zum Abendessen schauen wir im Bergführerbüro vorbei und holen uns aktuelle Infos über die Bedingungen. Wir sind uns einig, dass man die Infos mit einer gewissen Portion Humor nehmen muss, da gefühlt jeder etwas anderes erzählt – und meist auch das Gegenteil. Anschließend buchen wir wieder Esel und Taxis für den nächsten Trip. Am Mittwoch wollen wir in Richtung Nevado Copa aufbrechen, einem relativ einfachen, aber sehr schönen Skiberg und 6000er. Danach gibt es in einem besseren Restaurant Pasta mit Chicken. Auf dem Heimweg gönnen wir uns noch einen Pisco Sour, und gegen 21 Uhr sind wir zurück im Hostel und im Bett. Also am Ende doch so einiges passiert heute.

    Dienstag 4.juni
    Okay, heute ist wirklich nicht viel passiert: Rucksack packen für morgen, einkaufen, Gas besorgen, zweimal essen gehen. Beim Mittagessen habe ich meinen ersten richtigen Kaffee in Peru getrunken – das hat sehr gut getan. Avocados gekauft (6 Stück für 50 Cent!!!). Außerdem habe ich heute einen Shop entdeckt, in dem ich mir eventuell vor der Abreise noch einen Hut kaufen werde. Es ist insgesamt schwer zu unterscheiden, was hier Schund ist und was Qualität hat, aber diesmal habe ich ein gutes Gefühl. Sonst ist echt nicht viel passiert.


    Nevado Copa

    Mittwoch 5. Juni
    Es geht los zum nächsten Berg. Unsere Rucksäcke haben wir gestern Abend schon gepackt, heute in der Früh genießen wir nur noch ein ausgiebiges Frühstück im Hostel. Pünktlich um 8:30 Uhr werden wir von unserem Taxifahrer abgeholt, wobei es diesmal Verwirrung gibt, da circa alle zehn Sekunden ein anderer Taxifahrer vor dem Hostel hält und uns mitnehmen möchte. Wir wollen aber nur mit unserem gebuchten Taxi fahren, da wir dieses ja bereits bezahlt haben. Wieder bis zum Rand voll beladen, verlassen wir im zerbeulten Toyota Corolla Huaraz in Richtung Süden. Wir fahren etwa eine Stunde auf Asphalt und dann noch einmal 30 Minuten nach Vicos und weiter über eine diesmal noch wildere Schotterpiste den Berg hinauf, bis wir unseren Eseltreiber treffen. Dort wird schnell das schwere Gepäck auf die Eselrücken verladen, und wir selbst tragen nur noch einen relativ leichten Tagesrucksack. Der Zustieg heute ist lang – etwa 1.300 Höhenmeter hinauf auf 4.600 m – und führt zunächst durch Eukalyptuswald, später im Zickzack eine Moräne hinauf, umgeben von Gletscherschliffplatten. Schon bald bekommen wir den ersten Ausblick auf unser Ziel, den Nevado Copa. Am Basecamp angekommen, merken wir, dass wir diesmal alleine am Berg sind. Wir richten unser Camp ein, verabschieden den Eseltreiber mit einem Trinkgeld und kochen ausgiebig Pasta mit Avocado. Wir gehen außerdem am späten Nachmittag noch ein paar Höhenmeter weiter hoch zur Laguna Lejiacocha und merken das wir da oben sogar Handynetz haben. Jeder nutzt die Chance nochmal kurz und bevor die Dämmerung eine einsetzt gehen wir wieder zurück zu den Zelten, die Abendstimmung heute ist großartig. Dominik biwakiert diesmal, sodass Malte und ich jeweils ein eigenes Zelt haben – was für ein Luxus.

    Donnerstag 6. Juni
    Wir schlafen aus bis circa 8 Uhr, beziehungsweise bis die Sonne über den Berg gekommen ist, frühstücken erneut sehr ausgiebig und starten unsere Wanderung ins Hochlager mit schweren Rucksäcken auf dem Rücken – jeder von uns mit circa 30 Kilo. Es gibt zwei Optionen, um zum Gletscher zu gelangen: eine Schotterrinne, von der uns wegen Steinschlag abgeraten wurde, die aber prinzipiell leichter zu begehen wäre, und eine Schotterrinne, die normalerweise eine Schnee- beziehungsweise Eisbahn hat, die man einfach hochklettern kann, heuer aber weder Eis noch Schnee beinhaltet – maximal ein bisschen Eis. Wir schauen uns beide Optionen an. Die erste Schotterrinne erscheint uns viel zu gefährlich, und wir entscheiden uns für die andere Option, den Eis- bzw. Schotterschlauch. Gleich am Anfang müssen wir mit Steigeisen und Eisgeräten kurz über einen Wasserfall klettern. Das Gelände ist sehr brüchig und schwer abzusichern, dennoch finden wir den einen oder anderen Stein, der uns fest genug erscheint, um einen Stand zu bauen und die anderen beiden nachkommen zu lassen. Mühsam, vor allem wegen der schweren Rucksäcke, kämpfen wir uns die Schotterrinnen empor. Es ist extrem kräftezehrend und keinesfalls leicht. Einer von uns steigt ungesichert vor, sucht einen festen Stein und lässt die anderen am fixen Seil nachkommen. Ganz zum Schluss müssen wir noch den 70–80° steilen Gletscheraufschwung überklettern. Malte steigt hier souverän vor, richtet ein Fixseil ein und lässt Dominik und mich nachsteigen. Endlich und extrem erschöpft am Gletscher angekommen, müssen wir noch einige Meter bis zum Hochlager aufsteigen. Bis zuletzt sind wir uns nicht sicher, ob wir unser Zelt auf Fels oder auf dem Gletscher aufschlagen müssen. Ein Glück, dass wir auf den Gletscherschliffplatten neben dem Gletscher provisorisch errichtete Biwakplätze erkennen – gerade groß genug, um ein Zelt zwischen den Steinen aufzustellen. Eigentlich hatten wir vor, viel früher am Hochlager zu sein, um noch eine kleine Erkundungstour zu unternehmen. Jetzt sind wir einfach nur froh, dass wir überhaupt noch bei Tageslicht angekommen sind und die Zelte aufgebaut haben. Wir filtern schnell etwas Wasser aus Pfützen direkt neben dem Zelt und kochen unser Abendessen. Diesmal hat jeder sein individuelles Abendbrot: Malte und Dominik haben Expeditionsnahrung dabei, ich werte eine Instant-Nudelsuppe mit Avocado, Zwiebeln, Crackern und Chips auf – schmeckt erstaunlich gut und füllt mich reichlich. Todmüde fallen wir ins Bett. Wir haben uns entschieden, am morgigen Tag noch einmal auszuschlafen, relativ spät zu starten und einfach erst mal zu schauen, wie weit wir kommen.

    Freitag 7. Juni
    Gegen 8:00 Uhr gibt es Haferschleim zum Frühstück, wir packen unsere Rucksäcke und starten in Richtung Gletscher. Laut unseres Guide-Buchs ist der linke der zwei ersichtlichen Gipfel der Nordgipfel, den wir als erstes erreichen wollen da er der lohnendere Skigipfel sein sollte. Es ist eiskalt, der Wind weht stark – eigentlich sollte laut Wetterbericht ab heute kein Wind mehr gehen. Wir wählen die mittlere Rampe direkt in Richtung unseres Ziels, doch es sind keine alten Spuren zu entdecken. Der Gletscher ist, wie schon am Ishinca und Tocllaraju, nur mit sehr wenig Schnee bedeckt, die Gletscherspalten sind riesig, und es ist schwierig, einen sicheren Weg zu finden, wir müssen immer wieder ungute Querspalten passieren und freuen uns mal wieder auf Ski, und nicht zu Fuß unterwegs zu sein. Am Kamm auf 6000 m angekommen, merken wir, dass der eingezeichnete Gipfel nicht der Nordgipfel, sondern nur eine Graterhebung ist. Von hier ist es zeitlich jedoch nicht mehr möglich, den Nordgipfel zu erreichen, also wenden wir uns stattdessen in Richtung Südgipfel, der gar nicht so weit Entfernt erscheint. Wir erkennen aber bald das wir uns auch hier mit der Entfernung verschätzt haben, uns läuft trotzdem die Zeit davon, und auf einem Vorgipfel auf circa 6130 m starten wir unsere Abfahrt von unserem selbst ernannten „Copa Centrale“ zurück ins Hochlager. Rund 1000 Höhenmeter Abfahrt erwarten uns – definitiv die längste Abfahrt, die wir in Peru unternehmen können. Ich genieße es, die Aussichten sind gewaltig, und der Firn lässt sich gut fahren, auch bei der Abfahrt überspringen wir größere und kleinere Querspalten. Als wir im Hochlager ankommen die große Überraschung: Dominiks Zelt hat sich selbstständig gemacht und ist vom starken Wind weggeweht wurde. Kurz sind wir ratlos, denn wir haben überhaupt keine Ahnung, wo das Zelt sein könnte. Schon überlegen wir, alles zusammenzupacken und abzusteigen, als Dominik sich ein letztes Mal auf die Suche begibt – dort, wo er es der Windrichtung nach vermutet. Und er hat Glück: Das Zelt liegt in einer Gletscherrandspalte und muss nur noch geborgen werden. Malte und Dominik kümmern sich um die Bergung, während ich in der Zwischenzeit eine Menge Wasser filtere. Erstaunlicherweise ist nur das Außenzelt eingerissen, die Stangen sind intakt, das Innenzelt ist unversehrt, und alles, was sich darin befand, ist ebenfalls unbeschadet. Unser Tag ist gerettet. Wir trocknen alles, Dominik errichtet sein Zelt erneut, wir kochen Abendbrot. Es ist eiskalt, und wie immer verkriechen wir uns pünktlich um 18 Uhr in unsere Zelte und versuchen zu schlafen. Ich bin völlig erschöpft und sage den Jungs, dass ich erst am Morgen entscheiden werde, ob ich einen zweiten Gipfelversuch mit angehen werde.

    Samstag 8. Juni – Copa Norte –
    Unser Wecker klingelt um 4:45 Uhr, doch ich habe kaum geschlafen. Dennoch lasse ich mich überreden, aufzustehen und einen zweiten Gipfelversuch zu wagen. Der Wind hat zwar nachgelassen, doch es ist noch kälter als am Vortag. Nach einem schnellen Frühstück starten wir. Um 6 Uhr betreten wir den Gletscher, diesmal wirklich mit Ziel Nordgipfel. Malte klagt bereits über Halsschmerzen und befürchtet, krank zu werden. Trotzdem kommen wir gut voran und machen schnell Höhenmeter – es bleibt jedoch eisig kalt. Etwa auf halber Strecke bezweifle ich, dass wir den Gipfel erreichen werden. Malte wirkt sichtlich erschöpft und kommt nur schwer nach. Zudem ziehen Wolken auf, und das Gelände wird zunehmend schwieriger. Ich äußere meine Bedenken und versuche, die Jungs zum evaluieren anzuregen ob wir weiter gehen sollen oder nicht. Dominik ist neutral, Malte will jedoch auf keinen Fall umdrehen, und so gehen wir weiter. Ich nehme es ihm jedenfalls nicht übel. Wieder erreichen wir den Kamm auf rund 6000 m, diesmal auf der anderen Seite der Graterhebung – die Aussicht ist gewaltig. Kurz vor dem Gipfel müssen wir eine weitere Spalte überqueren, in die Dominik beinahe stürzt. Mit viel Geschick reagiert er rechtzeitig, lässt sich zurückfallen und bleibt gerade noch am Spaltenrand liegen. Wir packen Ski und Boards auf die Rucksäcke und steigen die letzten 100 Höhenmeter zum Gipfel auf – extrem ausgesetzt und mit letzter Kraft. Ich überlege, ob ich die Ski zurücklassen soll, entscheide mich aber dagegen und bereue es keine Sekunde. Wenige Minuten später stehen wir auf 6180 m. Wir verweilen nur kurz, bauen um und starten die Abfahrt – was für ein gewaltiges Gefühl! Wir schlängeln uns zurück ins Hochlager, doch die Kälte verhindert, dass die Sonne den Schnee aufweicht. Von oben bis unten bleibt es hart. Egal – wir sind von 6180 m mit Ski und Snowboard abgefahren. Am Camp ist Malte völlig erschöpft, doch wir müssen noch ins Basecamp absteigen. Unser Essen ist aufgebraucht, und unser Arriero erwartet uns dort unten am nächsten Morgen. Wir entscheiden uns für den schnelleren Abstieg über die andere Rinne – ein Fehler, den wir bitter bereuen werden. Widerwillig packen wir das Camp ein und starten gegen 14:30 Uhr den Abstieg. Von rechts drohen mehrere Felszacken – Steinschlag ist hier eine ständige Gefahr. Die gesamte Rinne sieht furchteinflößend aus, für mich ist es das Tor zur Hölle. Je weiter wir absteigen, desto unwohler fühle ich mich. Wir passieren hausgroße Felsen, die offensichtlich regelmäßig abstürzen. Auf halber Strecke stehen wir vor einem steilen Abbruch, der noch weniger einladend aussieht als der Rest der Route. Abseilen wäre eine Option, doch wir wissen nicht, ob unsere 60 Meter Seillänge ausreichen bzw. ob wir im weiteren Verlauf verlässliche Abseilpunkte finden. Weiter abzusteigen scheint ebenfalls unmöglich – jeder Schritt löst eine Schuttlawine aus. Wir versuchen, in die andere Rinne zu queren, die uns vom Aufstieg bekannt ist, in der Hoffnung, dort hinein abseilen zu können. Doch auch hier stehen wir vor einem viel zu hohen Felsabsatz. Ein gesicherter Abstieg scheint unmöglich. Die Entscheidung ist klar: Entweder wir wagen es weiter nach unten – mit dem Risiko, abzustürzen und uns selbst unter Steinen zu begraben – oder wir steigen wieder ganz nach oben und seilen uns über die Rinne ab, welche wir im Aufstieg verwendet haben. Zähneknirschend entscheiden wir uns für den Aufstieg. Völlig erschöpft klettern wir über Platten zwischen den Rinnen nach oben – stets darauf bedacht, nicht direkt in der Schusslinie des Steinschlags zu sein. Malte macht unterwegs sein Handy kaputt. Ein paar hundert Höhenmeter weiter erreichen wir schließlich ein Band, das uns den Übergang in die bekannte Rinne ermöglicht. Dort angekommen, nutzen wir denselben wackeligen Stein als Sicherungspunkt, den wir bereits beim Aufstieg verwendet haben, und seilen uns bis zum bitteren Seilende ab. Ein paar Meter müssen wir noch abklettern, bis wir einen weiteren sicheren Stand erreichen. Das Seil verhakt sich kurz beim Abziehen, doch zum Glück gibt es schließlich nach. Ohne unser Seil wären wir geliefert gewesen. Vor uns liegt noch eine schwierige Passage. Dominik sichert mich mit dem Körper ab, und ich steige als Erster ab. Anschließend sichere ich von unten Dominik und Malte, die nacheinander nachkommen. Jetzt noch eine letzte Abseillänge über den Wasserfall – und endlich stehen wir wieder auf festem Boden. Malte ist komplett am Ende. Ich übernehme einen Teil seines Gepäcks und gehe voraus. Der Plan ist, das Camp vorzubereiten, damit er sich dort sofort hinlegen kann. Doch er bricht auf dem Weg mehrfach zusammen, einmal zerbricht er dabei sogar seinen Stock. Er hat Nasenbluten und ist völlig kraftlos. Ich eile ins Basecamp, werfe mein Gepäck ab und nehme nur eine Inka-Cola mit, die wir dort deponiert haben. Mit der Cola laufe ich ihm entgegen, um ihm mit dem Zucker neue Energie zu geben und sein Gepäck vollständig abzunehmen. Als ich die beiden erreiche, wird Malte eine ordentliche „Infusion“ Inka-Cola verabreicht. Ich nehme seinen schweren Rucksack ab, und wir gehen weiter. Am Nachmittag ist ein Schweizer Bergführer mit zwei Klienten und drei Trägern im Basecamp angekommen. Sie empfangen uns mit Tee, und Malte bekommt eine Schmerztablette. Wir bauen ihm schnell sein Lager auf, er legt sich mit letzter Kraft hin – erleichtert, dass dieser Höllentag vorbei ist. Dominik und ich werden von der geführten Gruppe ins große Essenszelt eingeladen. Wir bekommen eine Suppe – und staunen, mit welchem Luxus viele hier unterwegs sind. Zwei Klienten und ein riesiges Tamtam um sie herum: Träger, Köche, Guides. Es gibt sogar warmes Wasser zum Händewaschen, und das Abendessen besteht aus drei Gängen, zubereitet von peruanischen Köchen. Wir kommen kurz ins Gespräch. Der Bergführer erzählt, dass er die besagte Rinne vor 13 Jahren mit Ski abgefahren ist – und dass er seit 30 Jahren in Peru als Bergführer arbeitet. Tja, dann waren wir wohl 13 Jahre zu spät. Er gratuliert uns zum Gipfel und bestätigt, dass unsere zuerst geplante Abstiegsroute purer Selbstmord war. Zudem bekundet er sein Mitgefühl dafür, dass wir falsche Informationen erhalten hatten, die uns dorthin geführt haben. Totmüde fallen wir in Dominiks halb zerstörtes Zelt. Zum ersten Mal in der Höhe schlafe ich richtig gut. Nur ab und zu wecken uns die Esel, die uns am nächsten Tag ins Tal bringen sollen und neben unseren Zelten grasen.

    Sonntag 9. Juni
    Heute wollen wir nur vom Basecamp ins Tal absteigen und zurück nach Huaraz. Wir schlafen aus, frühstücken unsere restlichen Vorräte und beginnen, unser Gepäck zu packen. Malte geht es zum Glück besser. Der Schweizer Bergführer mit seinen beiden Klienten verabschiedet sich von uns – sie steigen mit relativ kleinen Rucksäcken ins Hochlager auf. Wir sind neidisch, haben aber auch Mitleid mit ihren Trägern, die mit ähnlich schweren Rucksäcken wie wir hinterherstapfen. Unser Eseltreiber ist bereits startklar und wartet nur darauf, dass wir alles zusammengepackt haben. Mit leichter Verspätung geht es ins Tal. Ich gehe mit unserem Eseltreiber voraus, Malte und Dominik folgen in entspannteren Tempo, um Kräfte zu sparen. Unser Taxifahrer ist heute extra mit seinem Toyota Hilux gekommen, da sein kleiner Toyota Corolla auf der Hinfahrt mehrmals aufgesetzt hat. Während ich auf die beiden Jungs warte, helfe ich dem Eseltreiber, die Esel zu entladen und das Auto zu beladen. Wir verabschieden ihn mit einem Trinkgeld und fahren zurück nach Huaraz. Dort angekommen, gehen wir als Erstes in eines unserer Lieblingsrestaurants, das „Mamma Mia“, und bestellen die größten Burger, die es gibt. Den restlichen Nachmittag verbringe ich im Hostel, sortiere meine Bilder und repariere einige meiner Ausrüstungsgegenstände. Am Abend treffe ich mich mit meinen zwei Schweizer Freunden, Lütza und Jonas, in einem chinesischen Restaurant. Die beiden sind gerade ebenfalls von einem Berg zurückgekommen und haben genauso großen Hunger wie ich. Nach einer gewaltigen Portion Pasta falle ich gegen zehn Uhr ins Bett – und schlafe trotzdem schlecht. Ich frage mich, ob der plötzlich wieder vorhandene Sauerstoffüberschuss zur Schlaflosigkeit beiträgt.


    Ausruhen

    Montag 10. Juni
    Heute ist mal wieder Ruhetag. Es passiert eigentlich nicht viel. Malte, Dominik und ich frühstücken ein zweites Mal in unserem Lieblingsrestaurant. Danach wechseln wir quasi nur einen Tisch weiter ins nächste Restaurant und essen das Mittagsmenü. Am Nachmittag genieße ich mit den Schweizern einen Burger. Am Abend treffen wir uns mit Lisa und Luki und essen peruanisch. Dazwischen schlendere ich noch ein bisschen durch die Stadt. Später trinken wir einen Cocktail – und danach schlafe ich wie ein Stein.

    Dienstag 11. Juni
    Ich wache relativ früh auf und entscheide mich spontan, mit Luki und Lisa einen klassischen Touri-Ausflug zu unternehmen. Für 40 Soles fahren wir mit einem Reisebus auf 5000 m hinauf, um einen Gletscher zu besichtigen. Unterwegs halten wir an verschiedenen Sehenswürdigkeiten: heiße Quellen, typische Pflanzen und ein Restaurant, in dem es Souvenirs zu kaufen gibt. Dort gönnen wir uns einen typisch peruanischen Coca-Tee. Während der Fahrt werden wir über die Gefahren von Gletschern und das richtige Verhalten dort aufgeklärt – wir sind definitiv die richtige Zielgruppe. Der Rest des Busses besteht aus Peruanerinnen und Peruanern aus Lima, die vermutlich zum ersten Mal überhaupt in den Bergen sind. Circa zwei Stunden lang fahren wir eine kaputte Schotterstraße den Berg hinauf – mit einem gewöhnlichen Reisebus, als wäre es das Normalste der Welt. Am Gletscher angekommen, ist das Wetter wie erwartet miserabel, was auch ein Grund dafür ist, dass wir es aktuell entspannt angehen lassen und nicht direkt wieder in die Berge aufgebrochen sind. Trotzdem ist es eine schöne Erfahrung, und es tut gut, ohne viel Aufwand in größere Höhen zu gelangen. Auf dem Rückweg schlafe ich die meiste Zeit. Wieder halten wir am Restaurant, wo uns mitgeteilt wird, dass der Bus dort mindestens eine Stunde Aufenthalt hat und wir doch bitte etwas essen gehen sollen. Das Restaurant spricht uns allerdings überhaupt nicht an, also nehmen wir stattdessen ein Colectivo zurück nach Huaraz. Abends gehen wir japanisch essen – es gibt Ramen, die beste Ramen-Suppe, die ich jemals gegessen habe. Danach geht’s ab ins Bett. Leider spüre ich leichte Halsschmerzen – mal schauen, wie es mir morgen geht.

    Mittwoch 12. Juni
    Wie fast schon zu erwarten, wache ich leicht erkältet auf. Das ist erst mal nicht allzu schlimm, da wir entschieden haben, frühestens am Freitag zum nächsten Berg aufzubrechen. Ich verbringe den Vormittag im Bett, erledige ein paar Arbeitssachen, schreibe Mails und ruhe mich aus – in der Hoffnung, dass es mir bald besser geht. Mittags gehen wir ins Restaurant und essen zur Vorspeise eine gefüllte Kartoffel (sehr, sehr lecker) und als Hauptgericht Fettuccine mit Gemüse. Mal wieder zahlen wir nur circa 5 Euro für das Menü, dazu gibt es auch noch ein sehr leckeres heißes Teegetränk. Später kommen Luki und Lisa dazu, wir wechseln einen Tisch weiter ins Mamma Mia und trinken dort Kaffee. Anschließend gehen wir gemeinsam eine Runde zum Markt mit der Mission, einen peruanischen Hut zu kaufen. Ich habe auf früheren Streifzügen durch die Stadt bereits ein Geschäft ausgemacht, in das wir nun alle gemeinsam gehen. Leider finde nur ich einen passenden Hut, die anderen sind nicht ganz zufriedenzustellen, dafür kaufen wir alle peruanische Decken als Mitbringsel. Malte freut sich über ein neues Fußballtrikot der peruanischen Nationalmannschaft. Am Nachmittag passiert nicht viel, ich sitze auf der Dachterrasse und lese mein Buch weiter. Abends essen wir endlich mal wieder Pollo, so wie es sich Malte seit Tagen gewünscht hat, und danach geht’s direkt ins Bett – in der Hoffnung, dass es uns allen am nächsten Tag wieder besser geht.

    Donnerstag 13. Juni
    Mittlerweile sind wir alle drei leicht angeschlagen. Nichtsdestotrotz verbringen wir den Vormittag auf der Dachterrasse und reparieren unsere Zelte. Maltes Carbon-Gestänge hat einen Knick abbekommen, den wir mit einer Inka-Coladose und etwas Klebeband fixieren. Dominik hat nach wie vor ein zerfetztes Außenzelt von seinem Stunt am Copa und repariert es ebenfalls einfach mit Klebeband. Er hat ohnehin schon entschieden, das Zelt in Peru zu lassen, also muss es wirklich nur noch für einen letzten Trip durchhalten. Nachdem die Zelte wieder einsatzbereit sind, treffen wir endlich eine Entscheidung für unseren nächsten Berg. Die Wahl war nicht einfach – wir haben verschiedene Optionen mit und ohne Ski in Betracht gezogen. Schlussendlich fällt die Entscheidung auf den Chopicalqui. Damit hätten wir morgen einen ganz entspannten Zustieg von nur 100 Höhenmetern ins Basecamp und noch etwas Zeit und Reserven, um wieder gesund zu werden. Außerdem ist das Wetter zwar nur halb optimal gemeldet, aber es ist definitiv die letzte Chance, bevor wir zurück nach Hause fliegen. Einen Versuch ist es wert! Mittags essen wir mal wieder beim Inder, anschließend beginnen wir langsam, unsere Abreise für morgen zu organisieren. Malte und Dominik besuchen noch einmal das Casa de Guías, um aktuelle Informationen einzuholen, während ich ins Stadtmuseum gehe – ein kleines, gemütliches Museum im Herzen von Huaraz. Am späteren Nachmittag erledigen wir gemeinsam den Einkauf für unsere Tour. Im Supermarkt besorgen wir Snacks, Pasta, Tomatensoße, Inka Cola, Haferschleim, Avocados und mehr. Außerdem organisieren wir uns ein letztes Mal Schneeanker.


    Chopicalqui

    Freitag 14. Juni
    Heute haben wir zur Abwechslung mal wieder den Wecker gestellt, obwohl wir eigentlich keinen großen Stress haben. Im Hostel gibt es ein ausgiebiges Frühstück. Die Rucksäcke sind bereits gepackt, wir müssen nur noch unser restliches Gepäck organisieren und verstauen, was wir zurücklassen. Danach geht es zum Abfahrtspunkt des Colectivo in Richtung Yungay. Auf dem Weg hole ich mir noch schnell ein paar Brötchen. Am Abfahrtspunkt will uns mal wieder jeder Fahrer mitnehmen, und die Anbieter streiten sich regelrecht darum, wer uns transportieren darf. Schließlich steigen wir in einen Hiace und fahren etwa anderthalb Stunden nach Yungay. Dort angekommen, wird uns sofort die nächste Mitfahrgelegenheit angeboten. Wir wollen allerdings erst noch etwas essen, fixieren aber trotzdem mit einem Fahrer unsere Abfahrt in einer Stunde. Im Hotel Alpamayo gönnen wir uns eine ordentliche Portion Pommes mit Pollo-Salat und ein Stück Kuchen. In der Zwischenzeit versucht ein anderer Peruaner, uns eine Fahrt zum Chopicalqui anzudrehen. Fun Fact: Sein Toyota hat an allen vier Rädern jeweils nur drei Radmuttern. Wir überlegen kurz, das günstigere Angebot anzunehmen, entscheiden uns dann aber dagegen, da wir bereits eine Abmachung getroffen haben. Die Peruaner sind uns bisher immer mit viel Vertrauen entgegengekommen, und wir wollen das nicht ausnutzen. Als wir vom Restaurant zum Busbahnhof aufbrechen wollen, taucht unser Fahrer schon auf, holt uns direkt am Restaurant ab und bringt uns zu seinem Fahrzeug. In einem Kleinbus geht es etwa zwei Stunden auf Schotterstraßen den Berg hinauf in Richtung Osten. Am Einstiegspunkt unseres Trails angekommen, beginnt es leicht zu regnen. Wir lassen uns davon nicht entmutigen und starten die Wanderung zum Basecamp. Glücklicherweise hört der Regen bald auf, und wir können unsere Zelte im Trockenen aufbauen. Kaum stehen die Zelte, fängt es jedoch wieder an zu regnen. Wir verkriechen uns in unsere Schlafsäcke und verbringen einige Stunden liegend und schlafend, bis es endlich aufhört. Anschließend kochen wir Pasta mit Avocado, doch kurz darauf geht es schon wieder zurück ins Zelt. Gegen 18 Uhr liegen wir in unseren Schlafsäcken und warten darauf, dass es dunkel wird und wir endlich einschlafen können. Leider fühle ich mich immer noch angeschlagen.

    Samstag 15. Juni
    Pauli geht es heute leider nicht gut. Was für eine fürchterliche Nacht. Ich habe kaum geschlafen, meine Nase und mein Hals sind komplett mit Schleim blockiert. Wir bleiben bis fast 10 Uhr im Zelt liegen, in der Hoffnung, dass uns irgendwann die Sonne herauslockt. Erst sieht es vielversprechend aus, doch dann ziehen wieder Wolken auf. Ich bekomme mein Frühstück kaum runter, alles ist mühsam. Schließlich entscheide ich mich, wieder abzusteigen – so macht das keinen Sinn. Auf 5000 m hält sich die Regeneration in Grenzen. Meine Glieder schmerzen, ich vermute, dass ich Fieber habe. Ich packe meinen Rucksack, lasse alles zurück, was die Jungs noch gebrauchen könnten, und mache mich auf den Weg nach unten. Bis zur Straße ist es nicht weit, und ich hoffe, per Anhalter mitfahren zu können. Doch es kommt ewig kein Auto. Also laufe ich die Straße entlang bergab. Etwa fünf Kilometer weiter unten befindet sich der Startpunkt einer beliebten Tageswanderung. Dort stehen ein paar Busse, die mich hoffentlich nach Huaraz mitnehmen können. Schlussendlich laufe ich den gesamten Weg hinunter, weil einfach kein Auto kommt. Es ist anstrengend. Ich kann mir nicht vorstellen, heute auch nur einen einzigen Meter bergauf zu gehen. Ich mache mit dem ersten Busfahrer, den ich finde, einen Deal: Für 30 Soles nimmt er mich mit nach Huaraz. Einziges Problem – er fährt erst in zwei Stunden. Das ist mir aber egal. Ich will nur ankommen, mich hinsetzen und niederlegen. Während der zwei Stunden, in denen ich die Straße hinuntergelaufen bin, ist niemand vorbeigekommen, der mich hätte mitnehmen können. Warum sollte sich das jetzt ändern? Naja, vielleicht hätte ich dem Fahrer nicht sofort mein Geld geben und meinen Rucksack verladen lassen – zwei, drei Möglichkeiten hätte es in der Zwischenzeit schon gegeben. Aber so ist es jetzt. Ich nutze die Wartezeit zum Schlafen und Nachdenken. Am Ende verliere ich die Geduld. Der Busfahrer hatte mir gesagt, dass er um 14:30 Uhr nach Huaraz zurückfährt. Mittlerweile ist es 15:30 Uhr, und noch nicht ein einziger Mensch von seiner Tour ist zurück am Bus. Ich erinnere mich an Maltes Erzählung, dass bei diesen Touren immer eine feste Rückkehrzeit ausgemacht wird – und die Leute dann gemütlich drei Stunden später auftauchen. Ich habe keine Lust mehr zu warten, steige aus dem Bus, schnappe mir meinen Rucksack und halte den nächsten Kleinbus an, der in meine Richtung fährt. Für 20 Soles komme ich zumindest nach Yungay. Dort angekommen, werde ich sofort von Fahrern umringt, die Fahrten nach Huaraz anbieten. Ich steige ins nächste Colectivo – noch einmal etwa zwei Stunden Fahrt. Ich bin völlig fertig. Sogar das Sitzen ist mühsam. Ich will nur noch liegen und schlafen. Auf dem Weg schreibe ich Will, unserem Hostelhost, eine WhatsApp, ob er ein Bett für mich hat, da wir eigentlich erst für Montag zurück angemeldet sind. Er schreibt: „Claro, Amigo!“ Ein Glück. Endlich komme ich in Huaraz an. Ich laufe bzw. schleppe mich zum Hostel. Will hat sogar ein Einzelzimmer mit Doppelbett für mich. Besser geht es nicht. Ich stelle meinen Rucksack in die Ecke meines Zimmers und falle komplett erschöpft ins Bett.


    Gesund werden und Abreise

    Sonntag 16. Juni – Dienstag 18. Juni
    Schlafen, schlafen, schlafen. Ich tue nur das Nötigste und versuche, wieder fit zu werden. Am Montag kommen Malte und Dominik zurück. Sie haben sich auf falsche Infos verlassen und mussten deshalb ebenfalls auf den Gipfel des Chopicalqui verzichten. Das Wetterfenster ist vorbei, und unsere Zeit läuft aus.

    Mittwoch 19. Juni
    Ich bin wieder einigermaßen fit, heute ist unser letzter Tag in Huaraz. Wir gehen noch einmal gemeinsam ausgiebig essen. Dominik und ich verkaufen einen Teil unseres Equipments. Er bekommt noch ein paar Euro für sein kaputtes Zelt und freut sich, seinen extrem warmen Schlafsack loszuwerden, da er ihn in Österreich nicht mehr braucht. Ich verkaufe meine Steigeisen, Lawinenschaufel, Eisgeräte, meinen Gurt und weitere Kleinteile. In Peru gibt es keinen Importeur für Bergsportausrüstung, und ein Kauf aus dem Ausland ist extrem teuer, da neben dem Kaufpreis hohe Versand- und Zollkosten anfallen. Dementsprechend wird uns das Material quasi aus den Händen gerissen – wir verkaufen verlustfrei und zaubern den einheimischen Bergführern und Agenturbetreibern ein Lächeln ins Gesicht. Überwältigt von der Gastfreundschaft unseres Hostelhosts Will, schenke ich ihm meine Bergschuhe, Scarpa Ribelle Tech – für ihn ein wahrer Schatz. Ich freue mich darüber und werde nie vergessen, wie sehr er zu unserem großartigen Aufenthalt beigetragen hat. Will organisiert uns einen Fahrer zum Busbahnhof, die letzte Stunde vor der Abfahrt verbringen wir gemeinsam mit seiner Frau und anderen Hostel Gästen. Es gibt Schnaps, und es werden noch einmal rührende Gespräche geführt. Am Busbahnhof angekommen, haben wir natürlich mal wieder viel zu viel Gepäck dabei. Der Angestellte des Busunternehmens nimmt es gelassen, hebt beim Wiegen unser Gepäck so lange an, bis das Gewicht passt, und wünscht uns eine gute Reise. Der Bus fährt über Nacht zurück nach Lima, und ich verbringe fast die gesamte Fahrt schlafend.

    Donnerstag 20.Juni
    In Lima angekommen, fahren wir mit einem Taxi zu einem Airbnb in der Nähe des Flughafens, wo wir unsere letzte Nacht in Peru verbringen werden. Wir kommen in einer eher ungemütlichen Gegend an und stehen vor einer Tür, die mit einem Eisengitter verrammelt ist. Auf Klingeln und Anrufe reagiert leider niemand, und wir überlegen schon, uns auf den Weg zu einer anderen Unterkunft zu machen. Nach einer Weile öffnet sich jedoch die Tür, und ein total sympathischer (und verschlafener) Peruaner steht vor uns und lässt uns hinein. Wir lassen unser Gepäck in der Unterkunft, fahren mit einem Taxi frühstücken und anschließend in die Innenstadt. Malte und Dominik wollen noch einmal surfen, während ich eher Lust auf Kultur habe. Zuerst besuche ich die Kunstsammlung, danach erkunde ich ein Viertel mit vielen offenen Ateliers. Ich lasse mich treiben und schaue überall mal rein. Am frühen Nachmittag fahren wir zurück zur Unterkunft. Von dort aus laufen wir ein paar Blocks zu einem Fischrestaurant, um endlich noch eine Portion Ceviche zu probieren. Auf dem Weg werden wir von ein paar Kids als „Americans“ begrüßt – ihrer Reaktion nach zu urteilen, sind wir definitiv nicht in einem Touristenviertel untergekommen. Malte kauft noch einmal maximal viel Inka Cola zum Mitnehmen am nächsten Imbiss.

    Freitag 21.Mai
    Unser Airbnb-Host bringt uns früh am Morgen zum Flughafen – ein super Service, denn so müssen wir uns nicht noch einmal um ein Taxi kümmern, das hoffentlich groß genug für unser ganzes Zeug ist. Unser Fahrer erzählt uns ganz euphorisch, wie man in Peru bei einem Verkehrsunfall reagieren sollte: „Just say ‚I don’t have money, and I don’t have insurance.‘ Keep repeating it as long as possible, and eventually, everyone will go home empty-handed. This is how it goes here and the reason why every car looks half broken…“ Am Flughafen gebe ich meine letzten Soles für Frühstück aus, und dann geht es ab zum Flug.

    Samstag 22.Mai
    Ankunft in München. Wir werden zu meinem Auto gebracht – Überraschung: Die Batterielampe leuchtet. Ich vermute, dass die Lichtmaschine den Monat Standzeit nicht überlebt hat. Wir fahren, solange die Batterie hält, und kommen damit fast bis nach Vomp zu Dominiks Zuhause. Auf einer Raststätte bauen wir noch meine Zweitbatterie von hinten nach vorne ein, und weiter geht die Fahrt. Wir schaffen es nach Vomp und schließlich nach Innsbruck und beenden damit unsere Reise. Ein paar Tage später wechsle ich die Lichtmaschine gegen eine neue, und der Alltag beginnt wieder von vorne.

    Danke Dominik fürs Bild: Ich vorm Tocclaraju
    Danke Dominik fürs Bild: Ich auf der Abfahrt vom Copa Norte

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  • TURIN NIZZA 2023

    TURIN NIZZA 2023


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  • KANARIEN 2023

    KANARIEN 2023

    Lanzarote
    Wiebke hat schon die letzten zwei Wochen auf Teneriffa, La Gomero und La Palma verbracht. Ich komme am 30.12. in Teneriffa an wo ich Wiebke treffe. Wir fahren mit der Nachtfähre nach Lanzarote wo wir am 31.12. unsere gemeinsame Fahrt starten. Den letzten Tag des Jahres 2022 verbringen wir einsam auf einem Berg. Ich verschlafe Silvester (mal wieder). Lanzarote war insgesamt ruhig und einsam, wir haben kaum andere Touristen getroffen. Eine Nacht schlafen wir im vom Tag noch warmen Lavasand.


    Furteventura
    Hier ist es vor allem sehr windig. Wir schlafen zweimal in großartigen Ruinen mit herrlichen Sonnenuntergängen.


    Gran Canaria
    Der vermutliche beste Ort zum Fahrradfahren? Die Anstiege sind wunderschön, lang, gleichmäßig, lässige Aussicht und kaum Verkehr. Kein Wunder dass hier quasi das ganze Tour de France Peloton Winterurlaub macht. Gran Canaria ist eigentlich nur ein riesiger Vulkan (bitte nicht so genau nehmen diese Aussage) mit einer Höhe von ca. 2000m über dem Meeresspiegel. Wir erklimmen den Vulkan schlussendlich 3 mal von unterschiedlichen Richtungen auf unterschiedlichen Straßen und es fühlt sich jedes mal an als wären wir auf einem anderen Planet unterwegs.


    El Hiero
    Auf der letzten Insel unserer Reise machen wir noch ein paar Tage Urlaub. Wiebke ist nun in 4 Wochen über alle Kanarischen Insel geradelt. Ich habe sie auf der zweiten Hälfte begleitet. Vielleicht komme ich nochmal wieder für die Inseln die ich verpasst habe. So oder so ein großartige Zeit und tolle Möglichkeit um dem Winter in Mitteleuropa zu entfliehen.


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  • BALKAN 2022

    BALKAN 2022



    Fährfahrt von Venedig nach Igoumenitsia und Nordgriechenland


    Nordmazedonien und ein kleines Eck Kosovo


    Albanien


    Kosovo


    Montenegro


    Bosnien


    zurück in Innsbruck


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  • ALPEN 2016-2024

    ALPEN 2016-2024

    Seit meinem Wohnortwechsel nach Innsbruck im Jahr 2016 haben sich unendlich viele Fotos und Geschichten vom Skifahren gesammelt. Diese hier alle aufzuzählen wäre ein Wahnsinn und langweilig. Deswegen gibt es hier eine kleine Zusammenfassung mit einigen Highlights.


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  • WEST UND TPR 2019

    WEST UND TPR 2019


    Richtung Westen zum Start

    Ich habe einen Monat Zeit bis zum Start des ersten Trans-Pyrenees-Race. Die ersten Tage begleiten mich Uli und Saily durch Südtirol und die nördliche Lombardei. Danach geht es ohne festen Plan weiter – immer entlang der schönsten Straßen und mit extra vielen Höhenmetern über die Alpen, während eines sommerlichen Wintereinbruchs. Mein Weg führt mich durch Frankreich, wo ich Sofi in Clermont-Ferrand besuche. Danach geht es weiter nach Spanien – einmal quer durch das Land – und bei den Picos de Europa an der Atlantikküste entlang zurück nach Frankreich. Pünktlich zum Start des Trans-Pyrenees-Race komme ich in Biarritz an.

    Auf dieser Reise fahre ich gegen mich selbst – als Vorbereitung für das anstehende Trans-Pyrenees-Race. Ich verbringe den ganzen Tag auf dem Rad und lasse mich auf alle Eventualitäten ein. Jede Nacht schlafe ich draußen. Zwar habe ich mir über Jahre ein hochwertiges und leichtes Rad zusammengespart, aber für Hotels, Herbergen, Campingplätze oder Restaurants habe ich kein Geld übrig. Deshalb dient mir mal eine Ritterburg für Kinder auf einem Spielplatz als Nachtlager, ein anderes Mal ein schmaler Wiesenstreifen neben einer Weinplantage – Frühstückssnack inklusive. Ich wechsle zwischen Nächten im Zelt und unter freiem Himmel. Für das Rennen werde ich das Zelt zurücklassen, aber auf der Reise ist es ein Luxus, gelegentlich ein Dach über dem Kopf zu haben.

    Manchmal bleibt mir keine andere Wahl, vor allem in Frankreich, wo ich mehrfach in heftige Gewitter gerate. Einmal fürchte ich mich regelrecht um mein Leben, als Blitze in unmittelbarer Nähe meines Zeltes einschlagen. Diese Nacht werde ich nie vergessen. Mein Bruder erzählt mir später von einem ähnlichen Erlebnis in Nordeuropa: Er musste damals mitten in der Nacht sein Zelt im Starkregen abbrechen und in ein nahegelegenes Bauernhaus flüchten.


    Trans Pyrenees Race No.1 Oktober 2019

    Einfach gesagt besteht das Rennen darin, so schnell wie möglich auf der spanischen Seite der Pyrenäen vom Atlantik zum Mittelmeer zu fahren und auf der französischen Seite wieder zurück zum Atlantik. Dabei stoppt die Uhr niemals. Verpflegungsfahrzeuge oder externe Hilfe sind verboten. Um Übernachtung, Essen, Trinken, die Route und gegebenenfalls Reparaturen am Rad muss ich mich selbst kümmern.

    Auf dem Weg muss ich verschiedene Checkpoints in einer bestimmten Reihenfolge anfahren. Ein Teil der Strecke ist vorgegeben, den Rest kann ich frei wählen, solange ich mich an die Verkehrsordnung halte und zum Beispiel keine Autobahn mit dem Rad befahre. Einige der Checkpoints sind strategisch so platziert, dass man oft vor der Wahl steht: viele Kilometer auf Asphalt bis zum nächsten Checkpoint oder eine kürzere, aber höhenmeterintensive Strecke auf Schotterpisten über hohe Pyrenäenpässe. Ich habe mich immer für den kürzeren Weg entschieden. Mir ging es bei allen Rennen, die ich bestritten habe, immer mehr um die Selbsterfahrung als darum, zu gewinnen oder eine Platzierung zu erreichen. Das Rennen ist der Rahmen, die Grenze ist mein eigener Körper. Die Frage ist: Wie weit lässt er sich an seine Belastungsgrenze bringen?

    Vor dem Rennstart bekommt mein Rad noch einen kleinen Service: eine neue Kette und neue Reifen. Außerdem lasse ich den Großteil meines Gepäcks zurück. Das Zelt oder die Badehose, die ich auf der Anreise dabeihatte, werde ich jetzt erstmal nicht brauchen. Das Nötigste muss reichen, damit die vielen anstehenden Höhenmeter nicht anstrengender werden als notwendig.

    Ich trage meine Rennradkleidung und habe eine Regen- sowie eine Daunenjacke dabei, dazu ein Merino-T-Shirt, ein zweites Paar Socken, Arm- und Beinwärmer, einen Schlafsack, eine Isomatte sowie einige Ersatzteile und Ersatzschläuche für das Fahrrad. Jede weitere Tasche ist mit Snacks aufgefüllt: Schokolade, Bananen, Nüsse, Trockenfrüchte, Haferriegel, Schokomilch und Getränkepulver.

    Den ersten Tag beende ich auf einer Passstraße auf halber Höhe in erster Position. Ich klettere über die Leitplanke und lege mich einfach für ein paar Stunden in den Straßengraben. Das Rennen ist um 4:30 Uhr morgens gestartet, und ich habe seitdem 400 km und 8600 Höhenmeter zurückgelegt. Abgesehen von einem Stopp in einem Supermarkt zur Verpflegung bin ich pausenlos gefahren. Das reicht für heute.

    In der Nacht werde ich von einigen Fahrern überholt. Manche fahren durch die Nacht, oft auf Kosten ihrer Durchschnittsgeschwindigkeit. Ich hingegen brauche nach einer gewissen Zeit meinen Schlaf und kann dafür gestärkt und mit neuer Energie am nächsten Morgen zügig weiterfahren. Am Nachmittag des zweiten Tages treffe ich einen dieser Nachtfahrer. Er hat seit dem Start keine Sekunde geschlafen und ist jetzt an der gleichen Stelle wie ich, obwohl ich dazwischen vier bis fünf Stunden geschlafen habe. Zwei unterschiedliche Taktiken, doch am Ende das gleiche Ergebnis.

    Die Route führt mich am zweiten Tag durch Andorra. Auf dem Anstieg treffe ich meinen Freund Marin, der ebenfalls am Rennen teilnimmt. Später am Abend begegnen wir uns erneut und feuern uns euphorisch an: „Let’s go to the beach tonight!“ Wir motivieren uns gegenseitig, noch in derselben Nacht das Mittelmeer zu erreichen und am Cap de Creus unseren Stempel am Checkpoint zu holen. Unsere Wege trennen sich erneut. Kurz darauf halte ich in einem kleinen französischen Dorf an. Es gibt eine öffentliche Toilette und sogar eine Dusche – eine Gelegenheit, die ich sofort nutze. Wer weiß, wann ich das nächste Mal die Chance auf eine Dusche bekomme? Danach fahre ich noch ein paar Stunden in die Nacht hinein, bis ich erneut an meine Grenzen stoße. Nach 320 km und 7000 Höhenmetern lege ich mich etwa 100 km vor der Küste an den Straßenrand und schlafe ein paar Stunden.

    Am dritten Tag geht es zur Abwechslung flach zum Cap de Creus und wieder zurück. Zurück in den Pyrenäen beginnt der Abschnitt „Rue de Pyrénées“: eine lange, vorgegebene Strecke entlang der französischen Pyrenäen auf einer bekannten Radreiseroute über zahlreiche französische Pyrenäenpässe. Am Abend gerate ich in einen schlimmen Sturm mit Starkregen, extremen Temperaturen und starkem Wind. Vor und hinter mir brechen Bäume und stürzen auf die Straße. Obwohl ich motiviert bin, entscheide ich mich anzuhalten – gegen diesen Sturm anzukämpfen wäre zu kräftezehrend. In einem Dorf finde ich einen überdachten Brunnen. Nach einer kurzen Katzenwäsche lege ich mich in meinen Schlafsack in den windgeschützten Bereich und schlafe ein paar Stunden. Der dritte Tag hat mich 280 km und 4800 Höhenmeter weitergebracht.

    Der vierte Tag beginnt zäh. Nach ein paar Kilometern in der Morgendämmerung packe ich meinen Schlafsack erneut aus und lege mich noch ein paar Stunden in eine Bushaltestelle, bis mich die Sonne weckt. Den ganzen Tag kämpfe ich mich über die vorgegebenen Pässe: Col de Garavel, Col de Port, Col de Portel, Col de Portet d’Aspet und Col de Menté. Spät in der Nacht schlafe ich unter dem Vordach einer kleinen Kirche ein. Trotz großer Überwindung habe ich an diesem Tag 250 km und 4700 Höhenmeter geschafft.

    Mit neuer Energie und viel Motivation starte ich in den fünften Tag. Mein Ziel: heute ins Ziel kommen. Gleichzeitig mache ich mir keine allzu große Hoffnung, da noch ein verdammt weiter Weg vor mir liegt. Am Morgen treffe ich einen französischen Reiseradler in einer Bäckerei. Wir unterhalten uns über unsere Vorhaben. Er erzählt mir, dass er die „Rue de Pyrénées“ fährt und bereits seit mehreren Tagen unterwegs ist. Als ich ihm erkläre, dass ich gestern im Osten gestartet bin und noch neun Pässe überqueren muss, um im Westen anzukommen – und dass ich das noch heute schaffen will – schaut er mich ungläubig an, schüttelt den Kopf und lässt mich stehen.

    Am fünften Tag stehen unter anderem der Col de Peyresourde, Col d’Azet, Hourquette d’Ancizan, Col du Tourmalet, Col d’Aubisque, Col de Marie-Blanque und der Col d’Izpegi auf dem Programm. Ab dem späten Nachmittag regnet es ununterbrochen, meine Powerbanks sind leer, mein Handyakku fast tot, mein Navigationsgerät hat gerade noch genug Ladung. Mir bleibt nichts anderes übrig, als weiterzufahren. Jetzt komplett ohne Strom dazustehen wäre fatal. In der tiefen Nacht komme ich weder an einer geöffnete Tankstellen noch andere Verpflegungsmöglichkeiten vorbei. Ein Liter Cola den ich mir am Nachmittag gekauft habe rettet mich vor dem Zusammenbruch. In dichtem Nebel und Regen übersehe ich einen Kreisverkehr und streife ein Pferd, das mitten auf der Straße steht – meine Aufmerksamkeit und Konzentration sind am Ende.

    Lange nach Mitternacht komme ich nach 380 km und 9500 Höhenmetern als Vierter in Biarritz an. Eine spätere Disqualifikation eines anderen Fahrers lässt mich sogar auf den dritten Platz vorrücken. James, ein Fahrer, der das Rennen abgebrochen hat, beobachtet den Finisher vor mir und mich per Online-Tracking und sorgt dafür, dass wir uns direkt nach Ankunft in ein Bett legen und ausschlafen können. Das werde ich ihm nie vergessen.

    Einige Tage später findet die Finisher-Party in einem gemütlichen Strandcafe statt. Danach reise ich mit Zug und Bus zurück nach Innsbruck – lange bevor „Lost Dot“ alternative Anreise- und Abreiseoptionen in einer eigenen Rennklasse wertschätzt. Für mich war es immer selbstverständlich, nicht mit dem Flugzeug zu einem Radrennen anzureisen oder abzureisen. Anders hätte ich es mir ohnehin nicht leisten können.


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  • EUROPA 2017

    EUROPA 2017

    Von Innsbruck mit Uli entlang des Alpenhauptkamm nach Nizza durch Liechtenstein, Schweiz, Italien und Frankreich. Danach alleine und mit anderen Radreisenden ohne Plan durch Frankreich. Besuch bei meiner guten Freundin Sofi in Clermont-Ferrand. Anschließend über Belgien und Luxemburg zu meinem Freund Johannes in Hessen. Weiter in meine Heimat, zuerst nach Chemnitz, dann eine Hochzeit von alten Freunden in Oberwiesenthal. Ab Oberwiesenthal mit Freunden aus Chemnitz durch Tschechien und die Slovakei. Ab Bratislava wieder alleine durch Ungarn, Serbien, Bosnien, Kroatien und in einer nonstop Fahrt durch Slovenien zu meiner Schwester nach Graz. Von dort im Zug wieder nach Innsbruck.


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  • KANADA 2017

    KANADA 2017



    Fernie Weinachten 2016


    Bernie Glacier Chalet Silvester 2016/2017


    Icefields und Fernie Januar 2017


    Alle Bilder aus diesem Beitrag wurden von mir mit einer Fujifilm XT-1 erstellt.